Der Verein, der wie ein Dampfer heißt

Ein glühender Hertha-Fan werde ich in diesem Leben nicht mehr. Dafür sind mir die frühen Begegnungen mit diesem Verein bzw. seinen Fans noch zu gut im Gedächtnis. Gegen St. Pauli machten straff organisierte Hools diverse Male Jagd auf alles, was nach St. Pauli aussah, also nicht so wie sie. Einmal wurden wir nach dem Spiel vom Olympiastadion unter Polizeischutz bis zum Bahnhof Neu-Westend gebracht. Im Jahn-Sportpark fiel ein anderes Mal fünf Minuten vor Schluß der Ausgleich für St. Pauli durch einen umstrittenen Elfmeter. Daraufhin ging ein Ruck durch den Hertha-Fan-Block in der anderen Kurve und 1000 Mann machten sich geschlossen auf, uns den Weg für eine zünftige Post-Game-Show abzuschneiden. In der Bernauer Straße wurden die Pauli-Fans dann zu Scharen getrieben, während die Polizei hilflos zwischen den Hertha-Schlägerkommandos hin und her irrte.

Ein jeder kennt den unwürdigen Brauch, beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung des Auswärtsteams durch den Stadionsprecher statt der Spielernamen “Arschloch” zu rufen. Nun, bei Hertha rief der Fanblock, in den ich beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt geraten war, nicht Arschloch, sondern “Jude”. Elfmal, denn elf Spieler machen bekanntlich mit. Und auf der Gegengerade flatterte das Transparent “Unsere Ehre heißt Treue” im Wind of Change der Nachwendezeit. Das ist alles lange her, und Hertha hat sich auch in diesem Bereich nicht zuletzt dank der überragenden Arbeit von Dieter Hoeneß grundlegend geändert, eine gewisse Reserviertheit blieb mir gleichwohl erhalten.

Trotzdem macht die neue Hertha ohne Marcelinho, dafür mit Ebert, Bastürk und Boateng sehr viel Spaß. Sie erinnert ein bißchen an die Euro-Fighter von Schalke 1997. Keine Überflieger, aber eine Mannschaft mit Herz und Verstand. Der Punkt beim HSV letzten Sonntag war hochverdient, das 4:0 gegen Hannover extrafein. Die Sport-Bild schwadroniert zwar heute davon, dass Hertha beim Kader-Aufrüsten nicht mithalten könne. Dabei haben Hoeneß und Götz nach dem Crash den Neuaufbau mit jungen Spielern längst umgesetzt. Beginnend mit der Saison 06/07 gibt es ein Quorum für Bundesligavereine. Eine Mindestzahl von Spielern im Profikader muß im eigenen Verein oder in einem DFB-Verein ausgebildet sein. Diese Zahl erhöht sich von Jahr zu Jahr. Dadurch soll die Position von “Eigengewächsen” gegenüber Neuverpflichtungen aus dem Ausland gestärkt werden. In diesem Jahr müssen es zwei Spieler aus dem Verein und zwei aus dem Verband sein, ab 2008/09 vier aus dem eigenen Verein und vier aus dem Verband. Einige Vereine erfüllen diese Vorgabe mit Ach und Krach, der eine oder andere Amateur wurde auch deswegen mit in den Kader gehievt. Hertha hat 12 Spieler (!) aus der eigenen Jugend im Kader. Keine Platzhalter, sondern mit Fiedler einen langjährigen Stammspieler und mit Fathi einen frischgebackenen A-Nationalspieler. Außerdem Cagara, Chahed, die schon erwähnten Ebert und Boateng und einen Stürmer der Chinedu Ede heißt, und den ich schon deswegen in mein Herz geschlossen habe. Wenn man dazu noch den richtigen Unku findet, klappt es bestimmt auch mal mit einer Meisterschaft.

Der Tor des Jahres – Rheuma-Kai

Der Bayerische Hofrundfunk teilt über Günther Koch auf seiner Homepage mit: “Unvergleichlich das An- und Abschwellen seiner Stimme, seine Begeisterung und vor allem sein Tor-Riecher. Wenn er sagt “jetzt kracht’s”, dann folgen fast immer ein Treffer und Günther Kochs unnachahmlicher Torschrei.” (Bocksgesang? Haben die Bocksgesang gesagt?)

Wer das Vergnügen hatte, am Samstag Bayern gegen Nürnberg in voller Länge im TV zu sehen, dem konnten große Zweifel kommen, ob Günther Coch ein Fan des 1. FC Nürnberg ist. Er ist es nicht, und wenn, dann auf eine sehr verzwirbelte, leicht masochistische Art und Weise. Oder ein glühender Clubberer hat sich vierzig Jahre lang an eine abweisende Umgebung angepaßt hat. Günther Koch, ein Zelig in der Bundesliga?

Dreimal lobte und schrie Koch den Ball voreilig ins Tor der Nürnberger. Über den Tölpel Rheuma-Kai wußte er vor der 48. Minute mehrfach mitzuteilen: “Wenn er den Ball hat, ist es ein Tor.” Jedoch hatte Club-Torhüter Raphael Schäfer für einen Sekundenbruchteil noch die Hand im Spiel. Danach konnte der Spieler mit der Nummer 10 im Trikot des FC Bayern zurecht den Titel Tor des Jahres für sich beanspruchen. Als Jochen Seitz vom 1. FC Kaisrslautern 2004 eine ähnlich Chance versemmelte, hat ihm die Süddeutsche ziemlich fies eins hinterhergetreten bzw. gescrieben. (War das nicht so gar ein Streiflicht?) Bin gespannt, was sie morgen über den niederländischen Offensivspieler schreiben.

Günther Koch sprach ferner grundsätzlich von “Schweini” und “Poldi”, sprach “Mehemet”, “Roy” und andere Bayern-Spieler mit Vornamen an, lobte Kahn für jeden fehlerfrei aufgenommenen Rückpaß und wurde nicht müde, das Niveau des Spiels in Grund und Boden zu reden, anstatt die vorzügliche Raumaufteilung und kluge Vorwärtsverteidigung der Nürnberger auch nur ansatzweise zu würdigen. Natürlich spielten sie “tapfer”. Wenn in der Ecke des Bildes nicht Arena gestanden hätte, es hätte auch das Closed-Circuit-TV des FC Bayern sein können. Man kann den Punktgewinn der Nürnberger als glücklich bezeichnen, aber man muß in München nicht gewinnen, wenn man Tabellenführer ist. Und man verliert nicht, wenn der Torwart Schäfer und der Sechser Galasek heißt.

Ein anderer ehrenamtlicher FC-Bayern-Claqueur, Marcel Reif, hat lang in seinem bunten Fußball-Lexikon geblättert. Er schreibt in seiner sonntäglichen Kolumne “Live aus dem Stadion“, die im Berliner Tagesspiegel erscheint: “Clubberer, die den Münchnern trotzen, das hat es irgendwann einmal gegeben als Heiner Stuhlfauth noch im Tor stand.” Und Meister werde Nürnberg “ohnehin erst, wenn Heiner Stuhlfauth wieder im Tor steht.” Die letzte Meisterschaft mit Stuhlfauth gab es 1927 mit einem 2:0 gegen Hertha im Grunewaldstadion in Berlin. Danach folgten noch vier weitere Titel, der letzte Meistertorhüter Nürnbergs hieß 1968 Roland Wabra. Zuletzt gewonnen haben die Nürnberger in München gegen die Bayern im März 1992 mit 3:1. Torwart Köpke hielt damals einen Elfmeter von Effenberg, am Ende der Saison war Nürnberg Siebter, die Bayern waren Zehnter. Marcel Reif war damals Kommentator für Eishockey.

Alles halb so wild. Jetzt geht es erst einmal in die Pause für Pokal und EM. Zeit für Mark van Bommel, die Lücke zu schließen, die Michael Ballack auf keinen Fall hinterlassen hat. Das wird eng im Mittelfeld. Wenn die Tabelle am 34. Spieltag so aussieht wie nach 8,82% der Saison, will ich mich nicht beschweren.

Das Elfenbeinküsten-Gambit

Werder Bremen ist die Elfenbeinküste des europäischen Fußballs. Die Gruppe A der Champions-League mit Barcelona, Chelsea und Levski Sofia wird jetzt wieder pflichtschuldig als “Todesgruppe” abgefeiert. Unschwer ist dabei zu erkennen, dass Bremen sich in einer ähnlichen Situation befindet wie die bedauernswerte Mannschaft der Elfenbeinküste in der WM-Gruppe C. Ein brockengeiler und -schwerer Gruppenkopf (Barcelona – Argentinien), eine richtig schwere Mannschaft, die international wenig bis nichts gerissen hat und deshalb nicht Gruppenkopf sein kann (Chelsea – Holland), dann die Nummer drei (Bremen – Elfenbeinküste) und zum Schluß ein kleiner Außenseiter, der möglicherweise den einen oder anderen Kantersieg wird über sich ergehen lassen müssen (Sofia – Serbien-Montenegro). Am Anfang in Chelsea, zum Schluß in Barcelona, es hätte kaum schwerer kommen können. Werder kommt aber trotzdem weiter, Klöschen und Hugo werden es richten. Rausfliegen wird Chelsea, bei denen Michael Ballack das Bayern-Gen eingeschleppt hat, Garantie für ein vorzeitiges Aus in der Champions League.

Überhaupt die Bayern. Es war ihnen beim 0:4 am Dienstag gegen Barcelona deutlich anzumerken, dass sie alle in Gedanken schon beim Spiel gegen den Tabellenführer aus Nürnberg waren. Fragt sich, wie die junge Mannschaft von Trainer Magath mit dem Jahrhunderttalent Santa Cruz in ihren Reihen mit dem nervlichen Druck fertig wird, schon am dritten Spieltag gegen Galasek, Saenko und Schroth spielen zu müssen.

Heute wird in der Arena auf Schalke ein Bayern-Jäger einen Dämpfer hinnehmen müssen, ich vermute die Schalker. Bremen hat den besten Stürmer Europas, die Schalker im Moment leider gar keinen. 3:1 für Bremen ist mein Tip (Eigentor Naldo). Ferner: Hertha lernt in Hamburg, dass Jugenstil manchmal ganz schön weh tun kann, Leverkusen zieht den Wölfen das Fell über die Ohren, Cottbus holt einen Punkt in Bochum. Gladbach und Hannover gewinnen ihre Heimspiele, Dortmund spielt 2:2 in Stuttgart und Mainz schlägt Frankfurt mit zwei Torn Unterschied und zieht damit an den Bayern vorbei.