Unterm Sauerstoffzelt wird gejodelt

Zu den innigsten Erinnerungen an die Großen Ferien meiner Kinderzeit gehört die Lektüre der Bild-Zeitung, als geistige Polystyrolfüllung für das Große Sommerloch. Während wir völlig zweckfrei auf der Terrasse in der Sonne brieten und unser Hirn erst zerschmolz und dann verdunstete, lasen wir alles, was dieses Füllhorn der schlechten Recherche und des schlechten Geschmacks hergab. Den Vorabdruck von Rudi Carells Autobiographie “Gib mir mein Fahrrad wieder” ebenso wie die traurige Saga um den Handballspieler Joachim “Jo” Deckarm, der bei einem Europapokalspiel des VfL Gummersbach gegen Banyas Tatabanya mit dem Kopf auf den Betonboden der Halle geknallt war und just im August aus seinem mehrmonatigen Koma erwachte. Im Grunde war Deckarm ein Stalinismus-Opfer, denn Tatabanya lag in Ungarn. Und natürlich lasen wir Max Merkels Bundesliga-Vorschau.

Rudi Carrell ist schon gestorben, aber Max Merkels Bundesliga-Vorschau gibt es immer noch. Keiner hat aus der auffälligen Namensgleichheit zu unserer Bundesligakanzlerin bisher irgendwelche Rückschlüsse gezogen, obwohl doch alles heute mit allem zusammenhängt. Max Merkel dürfte mittlerweile etwa hundert Jahre alt sein, vielleicht ist er auch schon gestorben und wird schon längst von zwei österreichischen Langzeitarbeitslosen gedoubelt. Verstärkung bekommt er für seine Kolumne von Mario Basler und gegen das, was die beiden einander ins Gesicht sagen, ist jeder Rülpser von Dieter Bohlen eine Philosophievorlesung. Ich stelle mir das so vor, dass Merkel 20 Stunden des Tages unter einem Sauerstoffzelt verbringt, umringt und gehegt von einem Team von Pflegern und Ärzten und einem vom Axel Springer Verlag abgestellten Leibstenographen, einem kleinen Eckermann, der jeden Ächzer zu Papier bringt und auf Verwertbarkeit für die Kolumne überprüft. Der Agent von Basler ruft alle drei Stunden an, ob es jetzt paßt mit dem Zwiegespräch der beiden Fußballexperten, und der Oberarzt vertröstet ihn immer wieder. Endlich darf Basler mit Merkel reden, “aber nur zehn Minuten”, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Dieses Wahnbild im Hinterkopf widerstrebt es mir, weitere sechs mittelgroße Zwiebeln in den großen Kochtopf der Prognosen zu werfen, aber sei es drum.

Der HSV wird es schwer haben in diesem Jahr. Heute Abend zu Hause nur ein Nullzunull gegen Osasuna, das erinnert fatal an Schalke im Halbfinale des letzten UEFA-Cups, die dann in Sevilla spät, aber verdient, doch noch 1:0 verloren und draußen waren. Könnte sein, dass der HSV zweimal nur UEFA-Cup spielt, nächste Saison ohne den Umweg CL-Quali. Bessere Karten auf Platz drei hat da schon Leverkusen. Skibbi, der Buschkänguru und sein Freund Rudi knüpfen an die hohe Spielkultur an, die Bayer nie echte Liebe, aber großen Respekt eingebracht hat. Barbarez dorthin gehen zu lassen war ein echter Fehler des sonst so erfolgreich transferierenden Beiersdorfer. Spieler wie Barbarez gibt es alle zwanzig Jahre einmal. Und wie großer Käse oder Wein werden sie mit zunehmender Reife immer interessanter. Meister wird sicherlich nicht Schalke. Dieses Episödchen mit “Totale Dominanz” auf den Leibchen läßt einen vermuten, dass in den Katakomben der Arena bereits Christoph Daum sein Unwesen treibt. Ganz sicherlich nicht Meister wird auch Bayern, das eigentlich mal reif wäre für ein saftiges Identitätskriserl und Platz 14 in der Abschlußtabelle. Kim Il Rummenigges Ankündigung, dass zwischen ihn und Magath kein Blatt Papier passe, riecht schon ein wenig nach vorzeitiger Trennung. Kriegt Magath eben eine SMS. Vielleicht kommt ja Ferguson statt van Niestelrooy aus Manchester. Oder Udo Lattek. Warum muß ich jetzt schon wieder an ein Sauerstoffzelt denken. Das hungrige Wolfsrudel aus Dortmund jedenfalls ist ein wesentlich unangenehmerer Auftaktgegner als die andere Borussia im letzten Jahr und will/wird in den Kampf um Platz 3 eingreifen. Bleibt also Bremen als Favorit Nummer 1 auf den Titel. Mittlerweile ist das gar nicht mehr originell. Jeder sagt es, und die Bremer sind reif genug, um das locker wegzustecken. Und fast so sexy wie Gladbach in den Siebzigern. Andererseits: Mit Barbarez ist Leverkusen zu allem fähig. Wenn die Meister werden, muß der Mario es dem Max schonend beibringen.

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