Wechselstrom Milvus milvus/migrans gegen Fedora Core Leberschwimmbecken 2:1

Das war eine wahrhaft europäische Nacht in der Kaschemme meines Vertrauens, 98% waren für Liver-pool (auch die Kalauer hier haben europäisches Niveau), die drei Fans von Milan (milvus = rot, migrans = schwarz) saßen an meinem Tisch respektive ich an dem ihren. Ein Italiener, der lange in England gelebt hatte und dort Liverpoolfan war, ein glaube ich Schweizer, der sich Liverpool gewünscht hätte, aber Milan dann doch besser fand und eine Engländerin, die abwechselnd mit “Forza Milan” und “Let’s go Liver” beide Teams anfeuerte, obwohl sie eigentlich Chelseafan war und aus Bristol kam. Französisch und Deutsch sprachen sie alle auch, vielleicht auch noch Sprachen, die an diesem Abend nicht benötigt wurden. Eine würdige Tischgesellschaft für diesen Abend.

War es ein großes Spiel? Ich meine, das CL-Finale ist immer ein großes Spiel, ein must-see, eine Standortbestimmung des europäischen Fußballs. Zwei unspektakuläre Kleinigkeiten entschieden das Spiel. Ein verlorener Zweikampf in der ersten Hälfte, als ein weißer Rossoneri einem roten Liverpooler den Ball in der eigenen Hälfte wegstibitzte. Zwei Pässe später dann das Foul und der Freistoß zum 1:0. Das Foul kann man geben, muß man nicht. Wenn man sieht, was Fandel vor allem in Hälfte Zwei alles hat laufen lassen, eine viel zu harte Entscheidung. Sonst war der Mann aus Kyllburg, das übrigens im Eifelkreis Bitburg-Prüm liegt, ein sehr guter Schiri.

Die zweite entscheidende Szen: der Paß zu Kaka in der zweiten Halbzeit. Nein, nicht der von Kaka zu Inzaghi. Auf den immer am Abseits vor sich hinhechelnden Super-Pippo durchzustecken ist eigentlich gar nicht so schwer, der Paß zu Kaka genau vorher. Ein Zwilling des Passes von Andrea Pirlo vor dem 1:0 gegen Deutschland im Halbfinale, wir erinnern uns. Alles scheint gedeckt, es scheint keine Gefahr zu drohen. Und plötzlich, mit einer minimalistischen Geste wird die Achse des Spiels augehebelt, wird Kaka ins Spiel gebracht und das Loch in der Abwehr wird zum Schlund, zum Abgrund, zum verdienten 2:0. Tor im Harem des Archimedes.

“Up the floor, up the floor”, rief meine Tischnachbarin ebenfalls, wenn einer am Boden lag. Das elend sinnlose sich wälzen wird nicht geduldet in Bristol und überhaupt. Die Mutter aller Schwalben, Inzaghi, war diesmal Spieler des Spiels. Ich mag ihn, obwohl er so eine unglaubliche Nervensäge ist. Sein großer Auftritt mit Ball-ins-Gemächt war ebenso unsterblich wie seine beiden Tore. Vor allem das erste: ein Jab wie von Muhammed Ali, kaum zu sehen mit dem bloßen Auge. Wehleidig, theatralisch, eiskalt, taktisch ausgebufft besitzt er alle Fähigkeiten, die den italienischen Fußball zu dem machen, was er ist.

Der andere Man of the Match war für mich Steven Gerrard. Kriegt in der zweiten Halbzeit einen Ball an den Arm geschossen und anstatt sich durchzumogeln bricht er ab, weil er weiß, dass es Handspiel war. What a great guy. Wäre die englische Nati – um das mal europäisch zu formulieren – nicht so hochgradig neurotisch, Gerrard könnte der Spieler der EM 2008 werden. Der europäische Thron ist verwaist seit Zizou nicht mehr spielt, Gerrard wäre einer der Nachfolgekandidaten.

Verdient verlor Liverpool, weil eben jener Gerrard nicht das 1:1 machte wie das 1:3 vor zwei Jahren. Verdient auch, weil sie die Schnitzer in Milans Abwehr (Maldini !!) vor dem 1:0 nicht nutzen konnten, weil sie Crouch zu spät brachten, weil sie jenen kleinen Ballverlust vor dem 1:0 hatten.

Fedora Core ist eine Linux-Distribution von Red Hat.

Kommentare zu “Wechselstrom Milvus milvus/migrans gegen Fedora Core Leberschwimmbecken 2:1” (2)

Heinz Wäscher
27.05.2007

Herr Alef, was ist los? Ins Dauerkoma gefallen nach überhöhtem Alkoholkonsum am gestrigen Abend? Spontan nach Nürnberg gefahren? Oder von Nürnbergern, die ihre Wohnung als Lagerstätte benutzt haben, in den Wahnsinn getrieben? Bitte berichten Sie uns vom größten Tag in Ihrem bisherigen Vereinsleben.

Christian
29.05.2007

für mich ja ein seltsames Spiel, weil meine beiden ausländischen lieblingsmannschaften gegeneinander spielten. auf eine seltsame, bizarre art ein verdienter sieg von Milan, auch wenn die erste hälfte klar an Liverpool ging. ansonsten war es wieder einmal faszinierend zuzusehen, wie geschickt trainer gezielt das spiel des anderen unterbinden können. Benitez ist in seinem gefühl für defensiven fußball wohl zur zeit unübertroffen – und das meine ich ganz explizit als lob. gerade wenn man sieht, wie unmöglich es Bayern München oder Manchester United zuvor war, Pirlo & Kaka aus dem spiel zu nehmen, wird einem die leistung von Mascherano et al erst deutlich.
umso schöner dann für den fußball, dass ausgerechnet eben doch Kaka das spiel mit diesem einen geniestreich entschied. es ist ein bisschen wie mit Frankreich vor fast zehn jahren: du kannst machen, was du willst, aber irgendwann ist die eine sekunde gekommen, in der Zidane eben doch den Pass spielt, den Schuß abgibt, der dich ausknockt – wie schlecht die mannschaft bis dahin auch gespielt haben mag, wie sehr all ihre Kreativität ausgeschlossen wurde.
und zu Steven Gerrard: ja, vom Vermögen her vielleicht sogar der kompletteste Spieler auf der Welt. und normalerweise (mit ausnahme der länderspiele) eben auch einer, der gerade in den großen Spielen da ist, im Grunde Liverpool ist. der letzte Champions League Sieg, das war Gerrards Sieg. man würde es ihm wünschen, dass er England wirklich zum nächsten Titel führt – aber vielleicht muss England wirklich den Mut haben und mit Gerrard den Overath machen, ihm die Hoheit im Mittelfeld übergeben und Kollegen Lampard zur Ersatzmaus zu degradieren. Von Herrn Beckham ganz zu schweigen, denn wenn Englands Hoffnung wirklich an Beckham hängt, dann können die guten auch 2008 abhaken. Die rückholaktion erinnert mich mit graus an 2000, Matthäus, Ribbeck.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.