Gelsenkirchener Wochenende

Double Play nennt man es im Baseball, wenn es der verteidigenden Mannschaft gelingt, zwei gegnerische Spieler auf einmal von den Bases zu holen. Am Samstag Nachmittag hat nicht nur der königsblaue Ivan die Bundesliga-Überflieger von den Roten aus München geerdet. Zugleich durfte sich Robert aus Gelsenkirchen darüber freuen, die Afghanistan-Überflieger bei den Grünen nachdrücklich zur Landung aufgefordert zu haben. Für “Tochter Zion, freue dich” ist es noch ein bißchen früh, trotzdem hat die sympathische Fußgängerzone im Westen der Republik einmal mehr bewiesen, dass sie das Zeug zur heimlichen Hauptstadt hat.

Ob die Grünen die Realpolitik verlassen haben oder endlich wieder dort angekommen sind, weil ihnen das “Weiter, weiter, einfach immer nur weiter machen.” (Oliver Kahn) als organisierte Planlosigkeit zu fadenscheinig wurde, wird sich weisen. Wer ihnen jetzt linkes Funditum vorwirft, sollte seiner Parteisatzung danken, dass sie derartige Eruptionen spontaner Demokratie nicht zuläßt. Aber reden wir nicht vom Souverän, reden wir von den souveränen Schalkern.

Dass die vor Monatsfrist rückhaltlos über Riberytonimiro enthusiasmierte Süddeutsche im Internet gar titelte: “Rakitic vergibt den Sieg”, dürfte die Diskussion um die vermeintlich mangelhafte Transferpolitik wohl endgültig beendet haben. Schalke hat jetzt 7 Punkte aus jenen fünf Begegnungen geholt, aus denen sie letzte Saison 4 holten. Der Vergleich stammt von Andreas Müller, aber er hat was. Es gibt angenehmere Auftakte als Auswärtsspiele beim Meister und den Bayern sowie dem Derby und dem Angstgegner Numero Uno zu Hause. Schalke konnte gegen Bayern bis auf die ersten zwanzig Minuten spielerisch und taktisch jederzeit mithalten, war insgesamt stets besser als die fünf Gegner (nur zu torgeizig) und kann in der bevorstehenden englischen Woche die fehlenden fünf Punkte auf den zur Zeit amtierenden Tabellenführer aufholen. Der muß diese Woche ganz stark sein am Dienstag und am Mittwoch, wenn die Champions League eröffnet wird.

Ansonsten kann jeder bis auf Rostock jeden schlagen. Der Middendorp-Express spielt abgezockt bis in die Haarspitzen, eine harte Nuß für S04. Ich plädiere dafür, von den Bielefelder Chamipons-League-Einnahmen die Namensrechte für das Stadion wieder zurückzukaufen und es “Alm und für immer und ewig Alm” zu nennen. Schüco-Arena ist leider grenzwertig dumm. Cottbus entleibt sich leider selbst auf offener Bühne und wird ohne Sander sicherer Absteiger Nummer zwei sein. Frankfurt (red hot hessisch shit) schleicht sich nach vorne, ebenso wie der VfB. Auch die Grünen von der Weser mußten eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Dass es ausgerechnet gegen Dortmund passierte, überrascht mich ebenso wie die bisherige Leistung von Hertha. Scheint ein echter Glücksgriff des so arg bespöttelten Dieter Hoeneß zu sein, dieser Lucien Favre. So eine Art Arsène Wenger für Leute mit 40 Mios Schulden. Nürnberg hat dank Wolfsburger Unbedarftheit tatsächlich die Abstiegsränge verlassen. Viel wichtiger ist aber, dass Mintal und Misimovic getroffen haben. Ich habe Meyer im Verdacht, er hat sich die ersten fünf Spiele einfach mal gegönnt, um sein sehr kompliziertes Mittelfeldpuzzle zusammenzubauen. Los geht’s eigentlich erst am Donnerstag mit dem Match im “Arrubbabogahl, Arrubbabogahl”. Und in the stadium formerly known as Volkspark beginnt dann die Aufholjagd.

Ein Moderator im Info-Radio Berlin hatte heute eine originelle Theorie. Er verwies auf die 42000 Zuschauer beim Spiel in Nürnberg (”gegen Hannover!”) und meinte, außer Eishockey und Damenvolleyball gebe es für den Club dort keine sportliche Konkurrenz. In Nürnberg müsse man unweigerlich zum Fußball gehen. Hertha dagegen kämpfe mit den Reinickendorfer Füchsen, Alba Berlin, ja sogar mit den Wasserballern von Spandau 04 und den Sumoringern von Kalorie Köpenick um jeden einzelnen Fan. Lieber Moderator, wenn ein Verein vier Jahre lang wie Arsch und Friedrich spielt, regelmäßig den Europacup vergeigt und trotzdem von der Champions League redet, wird der Fan irgendwann ungehalten. Das Boulen gewinnt beim Buhlen um die Zuschauergunst. Nürnbergs Zuschauerzahlen waren vor zwei Jahren berechtigterweise noch mieser als die von Hertha. Heute sind wir Pokalsieger. Das wäre Hertha auch gerne. Ich finde diese Theorie so stichhaltig wie die Behauptung, die Bundeswehr müsse in Afghanistan bleiben, weil der Irak leider schon ausverkauft ist. Manchmal bleibt man lieber zu Hause, nicht nur in Berlin.

Kommentare zu “Gelsenkirchener Wochenende” (6)

ungrün
17.09.2007

nähmen wir an, ich würde einen afghanen kennen, der sagt: “auf keinen fall soll die bundeswehr aus afghanistan raus, dann muss ich ja NOCH MEHR angst um meine familie haben!”.
dann finde ich es ganz schön SUPER und GUTMENSCHLERISCH, wenn die grünen, fernab der sorgen der kleinen leute DA, aus irgendwelchen gründen von 1968 den abzug der bundeswehr, die im ausland im gegensatz zu den truppen anderer länder (z.b. u.s.a.) noch einen recht humanen und guten ruf genießt, fordert.

ich erinnere mich auch gerade wieder, warum ich die taz bis auf diesen FUSSBALL(?)blog nur noch selten lese. zu grün hinter den ohren.

Rob Alef
17.09.2007

Dieser Gelsenkirchener Bezug hat es mir ermöglicht, einen kleinen Schlenker zur großen Politik zu machen, das ist fein beobachtet. Der politische Sichtwinkel eines Fußballblogs sollte eigentlich nichtg breiter als 7,44 m sein.

Die persönliche Befindlichkeit der Menschen in einem Land als Grund für einen Militäreinsatz heranzuziehen, ist immer furchtbar überzeugend, zugleich furchtbar verlogen, weil austauschbar. Unter anderem weil seit 2001 in Afghanistan ziellos Geld verbraten wird, soll jetzt das Kosovo klammheimlich geopfert werden. Auch da hat man 1999 einmal Verpflichtungen für die politische Zukunft einer Region übernommen, und seitdem viel zu wenig dafür getan, weil man nicht wußte wie. Damals hieß die Parole von Fischer “Nie wieder Auschwitz”. Würden Sie den Menschen im Kosovo erklären, dass ihre Zukunft zerstört werden muß, weil Afghanistan gerade wichtiger, um nicht zu sagen: schicker ist?

Was mich an “Aufbau-muß-sein-um-jeden-Preis” stört, zeigt ein Text über Fußball, ein Interview mit Holger Obermann aus dem Jahr 2004.

http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,1319166,00.html

Man stelle sich vor, im Jahr 1949 hätte es in Deutschland weite Teile gegeben, die von der SS kontrolliert worden wären. Berlin wäre einigermaßen sicher, aber auf dem Land würden Todesschwadrone Leute ermorden, sobald sie versuchen Schüleraustausch zwischen Deutschland und Frankreich zu organisieren. Dazwischen erzählt ein Baseball-Journalist von der völkerverbindenen Kraft des Sports und läßt dabei keine Phrase aus. Das ist schon nicht mehr grün, das ist weltfremder Zynismus. Das ist Schritt zehn vor Schritt eins. Weil keiner weiß keiner, wie Schritt eins aussehen muß.

Nach sechs Jahren ohne klare Erfolge, ohne klare Ziele ist es Zeit für einen ergebnisoffenen Realitätscheck der afghanischen Expedition. Diese Diskussion von den feuilletonistischen Salons endlich ins Parlament gebracht zu haben, dazu kann man den Grünen nur gratulieren.

Billy
17.09.2007

Naja, vom „Meister der Herzen“ realistische Lösungen erwarten wäre auch etwas zu viel verlangt. Aber vielleicht sollten die Fußballfreunde von der TAZ als ergebnisoffene Realitätschecker mit ihren Schalke-Kutten in die Taliban-Gebiete ziehen und mal schauen was passiert. Viel Spaß! Oder Kevin Kuranyi als Friedensbotschafter zu den Tailiban schicken.

Vielleicht ist es einigen durch die Gazprom-Millionen etwas zu kuschelig geworden.

Oliver Fritsch
18.09.2007

Nicht breiter als 7,32 Meter ist wohl gemeint, oder?

Rob Alef
18.09.2007

Nun ja, zusätzlich noch 2 x 6 cm, um die Ersatzspieler beim Aufwärmen aus den Augenwinkeln zu beobachten ;-).

Der Gert aka Karl Auer
18.09.2007

Oder plus die 12 cm des Pfostens, um sich selbst oder die unschönen dinge es Lebens dahinter zu verstecken.

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