Dejagah – bitte jetzt nichts Falsches sagen

Die heutigen Pressemeldungen auf den Homepages von Spiegel, Welt und FAZ lesen sich merkwürdig einförmig, nur Ludger Schulze in der Süddeutschen hat bis auf Weiteres die Traute, eigene Gedanken zu formulieren. Was vor allem irritiert, ist die allzu große Bereitwilligkeit, Dejagahs “private Gründe” sofort für antiisraelisch oder antisemitisch zu erklären, ohne etwas Genaues zu wissen. Und wären “politische Gründe” falsche Gründe? Es ist schön, dass man Dejagah mitteilt, für seinen und den Schutz seiner Eltern werde in Deutschland gesorgt. Das Mykonos-Attentat ist ja auch schon 15 Jahre her. Den ermordeten kurdischen Exilpolitikern hat man vorher sicherlich keine Versprechungen über ihre Sicherheit gemacht, die dann nicht eingehalten werden konnten. Was mit den Verwandten oder Freunden Dejagahs geschehen könnte, die noch im Iran leben, scheint überhaupt keine Rolle zu spielen. Wer Deutscher sein will, darf seinem alten Leben nicht nachweinen.

Wenn jemand beschlösse, lieber nach Frankreich als nach Israel in den Urlaub zu fahren, weil ihm die Sicherheitslage in Israel zu gefährlich erscheint, ist das dann ein “privater Judenboykott”, wie der Vizepräsident des Zentralrats, Dieter Graumann, formuliert hat? Dejagah ist – und das unterscheidet ihn vom Privaturlauber – als Nationalspieler tatsächlich einer von vielen Repräsentanten Deutschlands. Wäre es antisemitisch, wenn ein Bundestagsabgeordneter aus privaten Gründen im Urlaub lieber nach Frankreich fährt als nach Israel? Wenn er darüber in der Öffentlichkeit spricht? Wäre es antisemitisch, wenn ein Ingenieur, Außendienstmitarbeiter, Flugbegleiter im Staatsdienst aus privaten Gründen lieber nicht in Israel tätig sein will? Muß eine Ingenieurin, Außendienstmitarbeiterin, Flugbegleiterin im Staatsdienst wegen Rassismus entlassen werden, weil sie aus privaten Gründen lieber nicht in einem islamischen Land arbeiten möchte? Darf Dejagah als deutscher Nationalspieler privat Urlaub im Iran machen? Müssen die Nationalspieler des FC Bayern, die im Januar 2006 ein Freundschaftsspiel gegen Persepolis Teheran in Teheran bestritten, von der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden, weil sie mit ihrem Auftritt das “Regime des Irren von Teheran” (so der Volskmund) legitimierten? Dieser Ruf nach dem Ausschluß von Dejagah hat etwas von die Achselstücke von der Uniform reißen. National unzuverlässig, lautet das Verdikt. Etwas mehr Gelassenheit und Respekt vor den Schwierigkeiten einer Immigrantenbiographie würden die Diskussion nicht zu einem Kesseltreiben werden lassen.

Kommentare zu “Dejagah – bitte jetzt nichts Falsches sagen” (16)

wüllü
09.10.2007

“Was vor allem irritiert, ist die allzu große Bereitwilligkeit, Dejagahs “private Gründe” sofort für antiisraelisch oder antisemitisch zu erklären, ohne etwas Genaues zu wissen.”

Weißt Du denn Genaues, Rob!??? Woher kommt denn Deine “allzu große Bereitwilligkeit”, Dejagah “nur” private Gründe zu unterstellen. Die Doppelbödigkeit offizieller Propagandisten zu entlarven, kann, auch wenn es richtig ist, nun wirklich nicht als erschöpfende Argumentation bezeichnet werden. Warum erwähnst Du nicht im selben Atemzug den umfassenden Sportboykott Irans gegenüber Israel, das, wie immer wieder von iranisch-offizieller Seite betont wird, von der Landkarte zu verschwinden habe? Vor diesem Hintergrund, den Du, wie gesagt, nicht mal erwähnst, ist Dein Appell für “Gelassenheit und Respekt vor den Schwierigkeiten einer Immigrantenbiographie” entweder gnadenlos naiv oder, sorry, ziemlich dämlich…
Aber Deine Fußball-Kommentare gefallen mir…Vielleicht so:
Schuster, bleib bei Deinen Töppen! Vor allem, wenn Du, wie alle Anderen auch, überhaupt keine Hintergrundinformationen über Dejagah hast….

Johänntgen
09.10.2007

Sehr geehrter Herr Alef,
finde ich gut die Dinge cooler und mit mehr Verständniss anzugehen, so wie Sie es erörtern in ihrem Kommentat. Hat Herr Dejagah denn sich schon antisemitisch geäussert, verhalten, etc. oder sprechen da die Journalisten was der Stammtisch hören will? Allzu viele Schreibtischtäter gibt es schon.

Gruss K6

Benjamin
09.10.2007

Hallo!

Ich persönlich glaube, dass sehr viel eigensinnigere Absichten hinter diesem Boykott stecken als der Schutz angeblich gefährdeter Familienmitglieder. Aber das sei dahingestellt – ob Herr Dejagah nun direkt oder indirekt mullahgemäß handelt, ist letztendlich völlig zweitrangig. Fakt ist, dass man sich sowas in Deutschland nicht bieten lassen darf. Der DFB klopft sich immer laut hörbar die Schultern, wie verdienstvoll man seit 1987 seit dem ersten Länderspiel gegen Israel neue Brücken schlägt. Wenn ein deutscher Nationalspieler glaubt, noch so iranisch zu sein, dass er Israel auf dem Spielfeld nicht anerkennen kann, dann hat er seine Position mit sofortiger Wirkung zu räumen. Punkt Ende.

Esau
09.10.2007

Die Verantwortlichen selbst in Israel predigen doch täglich den Wirtschaftboykott zu islamistischen Ländern.

Rob Alef
09.10.2007

@ wüllü: leider die fragen nicht verstanden.

@ Benjamin: “indirekt mullahmäßig”, großartig, ist wohl neudeutsch für gedankenverbrechen.

@ esau: wenn es sammelbildchen mit antisemitischen versatzstücken geben würde, hätte deines die nr. 2756.

bitte auf die fragen eingehen, keine allgemeinplätzchen backen.

nicht dass es jemand etwas angeht, aber wieso ist dejagahs familie nach deutschland gekommen und wann? damit sohnemann die u 21 unterwandern kann? oder waren sie politische flüchtlinge?

Heinz Wäscher
09.10.2007

Natürlich fehlt in dieser unsäglichen Debatte zum Schluss auch nicht die Kritik an den unsicheren Kantonisten mit der doppelten Staatsbürgerschaft: “Heute bin ich Iraner, morgen Deutscher, wie es mir passt, das wird nicht gehen”, so Theo Zwanziger laut Spiegelonline. Wenn das Roland Koch hört, das geht ihm runter wie Butter.
Eine hübsche Kampagnenkoalition ist das, angestoßen von der BILD (”Wer ein Länderspiel in Israel aus politischen Gründen absagt, darf nie wieder für Deutschland spielen!”), weiter angefacht vom Zentralrat der Juden (täusche ich mich, oder wären solch dümmliche Kampagnen unter Paul Spiegel und Ignatz Bubis nicht gelaufen?) und nun unterstützt von den Wer-einen-deutschen-Pass-hat-darf-kein-zweites- -Heimatland-haben-Vertretern. Da hilft auch der Pragmatismus der Grünen (s.u. ihre heutige Presseerklärung) nichts mehr, wenn die Debatte einmal ihr hysterisches Stadium erreicht hat:

“Zur Diskussion über die abgesagte Teilnahme des U21-Nationalspielers Ashkan
Dejagah am Länderspiel gegen Israel erklären Omid Nouripour MdB, und Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher:
Es ist falsch, die Diskussion um Ashkan Dejagah zum Politikum des Antisemitismus zu machen. Wir fordern dringend dazu auf, das Thema sachlich und vor dem Hintergrund der allgemein schwierigen persönlichen Situation deutsch-iranischer Doppelstaatler zu diskutieren.
Wäre Dejagahs Absage antisemitisch motiviert, müsste er selbstverständlich sanktioniert werden, weil diese Motive gerade für Sportler, die Deutschland repräsentieren, inakzeptabel sind. Ashkan Dejagah hat aber bislang deutlich gemacht, dass es private Gründe sind, wegen denen er nicht an dem Länderspiel teilnehmen will.
Zur Erklärung: Iranischstämmige Deutsche werden auf Reisen in den Iran als iranische Staatsbürger behandelt, da eine Rückgabe der iranischen Staatsbürgerschaft nicht anerkannt wird. Die iranische Gesetzgebung verbietet gleichzeitig ihren Staatsbürgern Reisen nach Israel.
Dejagah hält sich auch in Sorge um seine im Iran lebenden Verwandten hier an das iranische Gesetz. Dies bedeutet keineswegs eine Zustimmung zur iranischen Politik. Im Gegenteil: das Problem ist der Iran und seine Reisebeschränkungen.”

Florian
09.10.2007

Im Prinzip völlige Übereinstimmung in der Sache. Dejagah ist vielleicht Naivität und ungeschickte Wortwahl vorzuwerfen, aber keineswegs ist er pauschal vorzuverurteilen. Die Auswirkungen auf Leute wie seinen Bruder, der im Iran Fußballer ist, sind auf keinen Fall mit Pflichterfüllung für die U21 aufzuwiegen. Eilts und Sammer scheinen ja auch ihr Okay für das Wegbleiben gegeben zu haben. Nur Herr Zwanziger, die fleischgewordene “political correctness” ist nicht informiert worden und hat so die diplomatische Krise ausgelöst. Dabei hätte sich die ganze Situation durch eine plötzliche Verletzung vor der Abreise (so ein Oberschenkel zerrt leicht und heilt schnell) viel eleganter umschiffen lassen.

Nur eins: Das Bild mit dem Urlaub des Politikers scheint mir nicht ganz einleuchtend. Dejagah macht ja nicht Urlaub in Israel, sondern er muss da beruflich hin und ein deutscher Abgeordeter, der eine Parlamentsreise nach Israel aus “politschen Gründen” (so hatte es Dejagah ja anscheinend zunächst formuliert) ablehnt, der müsste sich wohl auf ein ähnliches mediales Trommelfeuer gefasst machen.

Benjamin
10.10.2007

“@ Benjamin: “indirekt mullahmäßig”, großartig, ist wohl neudeutsch für gedankenverbrechen.”

Nein, hier meinte ich, dass sich Herr Dejagah dem Druck aus welchen Gründen auch immer beugt bzw beugen muss. Er muss die Ansichten des iranischen Regimes nicht teilen, aber er beugt sich dessen Doktrin.

“bitte auf die fragen eingehen, keine allgemeinplätzchen backen.”

Ihre Fragen beantworten Sie größtenteils selbst (erst stellen Sie fest, dass Herr Dejagah in seiner Funktion als Nationalspieler kein Urlauber, sondern ein Repräsentant ist, dann fragen Sie etwas über die Urlaubsgewohnheiten eines Abgeordneten…) ansonsten gibts noch ein paar Äpfel/Birnen. Auf interessante und sachdienliche Fragen hätte ich geantwortet, zB auf die Frage, warum sich niemand darüber ereifert, dass Herr Dejagah wegen einem harmlosen Fußballspiel Angst vor Sanktionen haben muss (Kritik an dem, der das Ganze verursacht, sucht man auch bei den von Ihnen kritisierten Medien vergebens).

armin
10.10.2007

Den “Artikel” in Bild habe ich nicht gelesen, kann also nur aus zweiter Hand (be)urteilen. Allerdings ist die Bild ja für 100% korrekte Zitate und die ungeschönte Wahrheit bekannt, die sich ja nur die Bild getraut auszusprechen. Und genau die Aussagen dieses “Revolverblattes” nimmt nun jeder zum Anlass – ohne Fakten zu kennen – das Gutmenschentum, die prinzipielle Betroffenheit und die kollektive Keule auszupacken. Na bravo – das muss ja ein Volltreffer werden.
Sollte er wirklich aufgrund politischer Motive gehandelt haben – noch einmal: “SOLLTE” – dann ist er in der Nationalmannschaft sicher fehl am Platz.
Sind es wirklich persönliche Motive, um seine Familie vor Repressalien zu schützen, dann ist diese Propagandaaktion mehr als bitter.
Denn die jetzt laut um Beifall heischenden “Volksvertreter” werden sich sicherlich nicht öffentlich von Ihren Verurteilungen distanzieren. Der junge Mann ist abgestempelt und steht in der antisemitischen Ecke.
Fehl am Platz ist jedenfalls Hr. Zwanziger – Krisenmanagement ein Fremdwort. Aber Sportfunktionäre müssen sich scheinbar nicht durch besondere Leistungen hervorheben. ( siehe den Botschafter des dopingfreien Radsports – Scharping ).

Andreas
10.10.2007

Das eigentliche Probleme, der Vorverurteilung wird ja noch kommen, denn woran viel ja noch garnicht gedacht haben, ist die Tatsache, dass sich der Spieler ja auch mal äußern muss zu den Antisemitismusvorwürfen und was soll er da machen?
1) Er gesteht Antisemit zu sein, dann ist seine Fußballer-Karierre in Deutschland sowieso gelaufen und (1. wichtiger Punkt) wird von dem “Irren von Teheran” vielleicht auch noch für dessen Propagandazwecke benutzt.
oder 2) Es sagt, dass er aus Angst um seine Familie und vor den Strafen des Regimes so gehandelt hätte und dann (das ist jetzt der 2. wichtige Punkt) wird er seinen Bruder wohl nie wiedersehen bzw. nur noch zu dessen Beerdigung.

weitere Anmerkung:
Die Aussage “politische Gründe” stammt aus einem Interview mit der BZ und es darf meiner Meinung nach stark angezweifelt werden, dass dies aktuell war, denn im selben Interview sagte er auch “es gibt Anfragen vom Iranischen Fußballverband” bzw. seiner weiteren sportlichen Entwicklung, wobei er sich seit seinem Einsatz am 21. August diesen Jahren als “Fußball-Deutscher” festgespielt hat!

Unter der Voraussetzung, dass Ashkan Dejagah kein Antisemit ist, haben sich die Bild, der Zentralrat der Jungen in Deutschland, weitere Zeitungen bzw. deren Autoren und mehrere Politiker sowie Hr. Zwanziger sich meiner Meinung nach folgender Tatbestände schuldig gemacht:
1. Vorverurteilung
2. Verleumdung
3. Böswilliwger Unterstellung
4. Übler Nachrede
(und wenn sich das mit dem BZ-Intervie bewahrheitet, sollte die Bild diesmal nicht nur eine Rüge vom Presserat bekommen, sondern sehr sehr hart bestraft werden)

Denn wenn sich Ashkan Dejagah mal äußern muss und Szenario 2 wirklich eintritt, dann sind alle oben erwähnten Medien und Personen Mitschuld am Tod seines Bruders!

Isegrim
10.10.2007

Die Behauptung von Dejagah, seine Eltern hätten mit Repressalien des islamischen Regimes zu rechnen, wenn er nach Israel reist, ist sicherlich vorgeschoben. Es stimmt aber, dass die Mullahs fremde Staatsangehörigkeiten von früheren Iranern nicht akzeptieren. In Erinnerung ist der Fall einer kanadischen Journalistin, die bei einem Aufenthalt in Teheran verhaftet, gefoltert und ermordet wurde.

Natürlich hätte Dejagah das anders angehen können: Eine Darmgrippe oder eine Muskelzerrung zur rechten Zeit hätte ihm eine Israel-Reise ganz unspektakulär erspart.

Bring back my words [Link existiert nicht mehr]
10.10.2007

Dejagah muss sich nicht entscheiden…

Ich glaube im Übrigen nicht, dass eine Teilnahme an einem Fußballspiel nachteilige Konsequenzen für irgend jemanden haben könnte – schon gar nicht für Dritte. Der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Peter Danckert.
Das Drama, …

Heinz Wäscher
10.10.2007

Die Geschichte wird immer besser: Der VfL Wolfsburg hat laut Spiegelonline Dejagah heute vom Training suspendiert – angeblich auf Druck des VW-Vorstands.
Das ist eine hübsche Pointe: In der “Kraft durch Freude”-Stadt Wolfsburg präsentiert sich ausgerechnet VW als antifaschistischer Konzern. Irgendwie muss man da Henryk M. Broder zustimmen, der ebenfalls auf Spiegelonline angesichts der anderen gestrigen Antifa-Show (Eva Herman bei Kerner) von den “Selbstgerechten” (Schreinemakers, Senta Berger, Kerner) und “wohlfeilem Widerstand” sprach und Johannes Gross zitierte: “Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso mehr nimmt der Widerstand gegen Hitler und die Seinen zu.”

Waltraud
10.10.2007

Das Verhalten des Herrn Dejagah ist ungeheuerlich; ein Skandal. Deutschland ist Israel gegenüber im besonderen Maße verpflichtet; Herr Dejagah müsste freiwillig seine Spieler-Lizenz zurückgeben.

Heinz
10.10.2007

@Waltraud: Ein Dejagah ist , genau wie ich mit meinen 40 Jahren, Israel in nichts verpflichtet. Sollen wir bis zum jüngsten Tag dem ZdJ vor Demut und schlechtem Gewissen in allem “Ja” sagen ? Nein !!! Es gilt, Antisemitismus zu bekämpfen, aber nicht alles, was der ZdJ sagt, zu beweihräuchern und vor lauter schlechtem Gewissen denen auschliesslich Recht zu geben.

Rob Alef
10.10.2007

Ganz interessant und angenehm sachlich ist dieser Text von SpiegelOnline zur Passpolitik.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,510685,00.html

Dass der Iran seit einigen Jahren bereits wieder Juden einreisen läßt, konterkariert das Gedröhn Ahmadinedschads ebenso wie das seiner hauptamtlichen Dämonisierer hierzulande.

@ Waltraud: Deine Aussage ist unsinnig, aber sie zeigt mit aller Deutlichkeit die Tücken einer Zivilreligion als Staatsraison. Im Post-Holocaust-Deutschland ist der Antisemit der Antichrist, dem von der symbolischen Ausbürgerung bis zum Berufsverbot jedes Übel zugefügt werden darf. Der nachdrücklich eingeforderte Bekenntniszwang trägt pseudoreligiöse Züge. Auch für Antisemiten – und Dejagah ist zum Beweis des Gegenteils keiner – gelten das Grundgesetz mit Berufsfreiheit, Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit.

@ Heinz: Ich halte es für den falschen Ansatz zu konstatieren, dass die Zeit besonderen Respekts gegenüber Juden abgelaufen sei. Dies schließt eine kritische Haltung gegenüber bestimmten Aussagen des Zentralrats nicht aus. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die deutsche Gesellschaft den Zentralrat und sich in der Öffentlichkeit äußernde Juden jahrzehntelang gerne als moralische Instanz benutzt hat, um sich um die moralische Dimension politischer Entscheidungen herumzudrücken. Ich erinnere mich noch gut an die vollkommene Ratlosigkeit in den Neunziger Jahren, als man geradezu inständig darum bat, von Juden attestiert zu bekommen, mehr als nur ein Land zu sein, in dem Nacht für Nacht Ausländer verprügelt, angezündet, ermordet werden.

@ Heinz Wäscher: Was für ein Mummenschanz mit dieser Eva Hermann. Erinnert das nicht an den “Zwiebelkeller” des famosen Günter Grass, in den die Nachkriegsdeutschen hinabstiegen, um endlich weinen zu können über ihre Geschichte? Dafür wissen wir jetzt, dass der zweite Vorname von Johannes B. Kerner “Betroffenheit” ist.

Ansonsten ist das Niveau deutlich besser geworden. Wäre es denkbar, dass das Glücksversprechen der Schnelligkeit Blogs meist zu fadem Geseiere führt. Nicht auszudenken, wie gut Zeitungstexte wären, wenn sie in Keilschrift verfasst werden müßten.

wüllü
11.10.2007

“Auch für Antisemiten – und Dejagah ist zum Beweis des Gegenteils keiner – gelten das Grundgesetz mit Berufsfreiheit, Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit. “

…schreibst Du, Rob Alef, im letzten Eintrag. Dieser Satz, der wohl zum Kern Deiner Argumentation gehört, verkennt bzw. verkürzt meiner Meinung nach das Problem.

Was ist (m.E.) das Problem?

1.Ein Fußballspieler, deutsch-iranischer Staatsbürger, erklärt öffentlich, er möchte nicht an einem Länderspiel in Israel teilnehmen.In diesem Kontext kann er dies, unabhängig davon, was er sich selbst denkt, nicht als Privatperson sagen. Er sagt dies als “öffentliche Person”, als Repräsentant einer öffentlichen Insitution. Wenn er (oder irgendjemand anders) als Privatperson sagt, ich möchte in Israel keinen Urlaub machen, gäbe es keine Aufregung.
2.Die vom Grundgesetz garantierten Grundrechte auf Meinugsfreiheit etc. gelten nicht uneingeschränkt! Sie erfahren ihre Grenze zu Recht dort, wo die Rechte Anderer empfindlich verletzt werden. Rassistische und sexistische Diskriminierungen sind eben nicht
vom Grundgesetz abgedeckt!
3.Ob es im Einzelfall zur Strafverfolgung kommt, hängt von der Prüfung des Einzelfalls ab.
Den landesüblichen menschenfeindlichen Aussonderungen der Stammtischbrüder kann man nur mit persönlichem Engagement entgegentreten. Diskriminierende Äußerungen im öffentlichen Raum, z.B. “Du schwarze Sau”, (die später plötzlich schwul war!!), kann man zu Recht nicht so stehen lassen.
4.Es hat von Anfang an gar keine Rolle gespielt, was Dejagah warum und wie gesagt hat, ob er Antisemit ist oder ob er seine Familie schützen möchte oder ob er den Gernegroß spielt oder alles zusammen. “Der Empfänger bestimmt die Botschaft”, sagt Umberto Eco, und die”Weltempfänger” (siehe iranische Medien, die Dejagah als Held feiern) sowie die deutsche und deutsch-jüdische Öffentlichkeit sind sich zu Recht, unabhängig von ihrer Richtigkeit einig darüber, dass Dejagahs Äußerung (und Handlung), selbst wenn sie privat motiviert gewesen sollte, eine politsche war und ist. Oder anders: Das Private kann ganz oft politisch sein.
5.Dejagah hätte nur eine Chance gehabt, nämlich sich “verletzt” abzumelden. Das wäre zwar unehrlich gewesen, aber wer immer offen ist, kann nicht ganz dicht sein……
6.Überschießende Reaktionen wie Berufsverbot halte ich nicht angemessen, dafür bedarf es wohl doch mindestens einer Wiederholung, die einen grundsätzlichen Charakter seiner Handlungen beweisen würde. Aber vielleicht wäre eine dreimalige “Spielpause” eine angemessene Zeit zur Reflektion….

www.welt-hertha-linke.de
11.10.2007

Sorry, Rob! Aber was denn für ein Niveau, bitte?

In deinem Beitrag plädierst du zwar für einen gelasseneren Umgang, stellst aber Fragen, die – mit Verlaub – derart am Thema vorbeigehen und ziehst damit das Niveau schon zu Beginn unter die Grasnarbe. Das zeigt mal wieder deutlich, dass in unserer Spaßgesellschaft alles geht, solange es irgendwie “witzig” ist…

Darüberhinaus ist tatsächlich unklar, was Dejagahs Motive sind, sodass letztlich alles in haltloser Spekulation untergeht. Das betrifft fast alle Kommentare hier und mündet in einem Populismus à la Knobloch, die tatsächlich davon sprach Dejagah müsste “entfernt”(!) werden, was semantisch schon wieder in Schubladen liegt, die sie grad verurteilen will.

Der Kollege Claudio Catougno der SZ hat sich zwar auch erlaubt zu spekulieren, kommt aber zum Schluss, dass wir hier ein typisches Drama gescheiterte Integrationspolitik haben. Das finde ich ersteinmal plausibler. Zahlreiche Filme (nicht zuletzt “Auf der anderen Seite”) schildern genau die Problematik: Man kann es nicht richtig machen und dann ist es einfach mal nur unfair die Lasten der Weltpolitik auf die Schultern eines 21-Jährigen zu legen.

Wer kann von sich behaupten in dieser Situation – slebst wenn er/sie alle Zeit zum rasonnieren hätte – RICHTIG zu handeln? Ich wage mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Das schafft niemand. Wer wirft also den ersten Stein??

Also bitte mal den Ball flach halten, und zwar ernsthaft…

Welt Hertha Linke
11.10.2007

Ashkan Dejagah und die schwierige Frage: Wie geht man mit seiner Länderspielabsage um?…

Ich habe mich ja erst einmal zurückgehalten mit der Diskussion obiger Frage. Denn in erster Linie finde ich es wirklich kompliziert dazu Stellung zu beziehen, wenn ein iranischstämmiger deutscher Nationalspieler nicht an einem Länderspiel gegen Isra…

Rob Alef
11.10.2007

@ wüllü: gefällt mir gut dein beitrag, auch wenn dejagah anders als weidenfeller gerade nicht unflätig geworden ist. das mit der denk- und spielpause finde ich nicht verkehrt. ebenso dejagahs entscheidung, sich nicht einfach krank zu melden, sondern den politischen kern seiner entscheidung der öffentlichen diskussion zugänglich zu machen.

@ hertha-linke: stimmt, die bemerkung zum niveau war prätentiös, es war ein öffentlicher seufzer der erleichterung darüber, dass hier nicht die üblichen irren das rumholzen anfangen, sobald in blogs über israel geschrieben wird, siehe faz, spiegel, sz. bis auf zwei porno-spams habe ich noch keinen beitrag gelöscht.

warum die nationalspieler kahn, deissler, schweinsteiger, rensing und lahm, die 2006 nach dem spiel gegen persepolis teheran keine denkpause verordnet bekamen, warum das privatspiel des fcb im reich des bösen reine privatsache war, hat mir immer noch keiner erklären können. aber jemand schrieb ja hier auch, deutsche echtäpfel und iranische fremdbirnen dürfe man nicht vergleichen.

Heinz Wäscher
11.10.2007

Passend zum Thema, auch weil Rob das in seinem Beitrag schon selbst angesprochen hat, ist die Meldung von heute, dass die Mykonos-Attentäter im Dezember vorzeitig freikommen sollen. Nun warte ich auf die Protesterklärungen all jener Politiker von CDU und SPD, die in den letzten Tagen so eifrig den Ausschluss von Dejagah aus Nationalmannschaft gefordert haben – vermutlich vergeblich. Man darf nämlich darauf wetten, dass hinter der Entscheidung der Druck der Bundesregierung steht, den Bitten Teherans um vorzeitige Freilassung nachzukommen, um die deutsch-iranischen Handelsbeziehungen nicht zu gefährden, ebenso wie die damalige Bundesregierung schon im Verfahren versucht hatte, das Erscheinen von Beamten als Zeugen zu unterbinden.

Mit Deganah hat sich die Politik einen Prügelknaben ausgesucht, der dazu dient, die offizielle Ablehnung des Teheraner Regimes zu bekunden, während inoffiziell die Normalität der Beziehungen angestrebt wird. Deganah soll privat (etwa durch ein Einreiseverbot) das ausbaden, was sich die Bundesregierung selbst niemals traut. Es sind die üblichen widerlichen doppelten Standards.

Laut WELT
http://www.welt.de/berlin/article1255152/Mykonos-Attentaeter_kommen_vorzeitig_frei.html
beklagt der Nebenklagevertreter im Mykonos-Prozess, der Berliner Anwalt Ehrig, übrigens, dass die Bundesregierung seine Bemühungen um Schadenersatz für die Familien der Opfer des Attentas nicht unterstützt hat. „Es ist zu erwarten, dass die Verurteilten nach ihrer Entlassung und Ausweisung im Iran als Helden gefeiert werden“, so Ehrig laut WELT. Noch Fragen?

Safftis Spottplatz » |
12.10.2007

[…] Der taz-Blog Volk ohne Raumdeckung gibt zu bedenken: Müssen die Nationalspieler des FC Bayern, die im Januar 2006 ein Freundschaftsspiel gegen Persepolis Teheran in Teheran bestritten, von der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden, weil sie mit ihrem Auftritt das “Regime des Irren von Teheran” (so der Volskmund) legitimierten? Dieser Ruf nach dem Ausschluß von Dejagah hat etwas von die Achselstücke von der Uniform reißen. National unzuverlässig, lautet das Verdikt. Etwas mehr Gelassenheit und Respekt vor den Schwierigkeiten einer Immigrantenbiographie würden die Diskussion nicht zu einem Kesseltreiben werden lassen. […]

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