Saisonziel erreicht

Dieter Hecking hatte sich zwei Tage vor dem Weihnachtsfest 2012 für seinen großen Karrieresprung Nach Vorne in Richtung Wolfsburg entschieden. Da gab es am 24.12. mit meiner fußballsachverständigen Tante unterm Strohstern vom Christkindlesmarkt dringenden Gesprächsbedarf. Trainer Wiesinger? Könnte passen. Plötzliches Abstiegsdrama? Nein, es gibt ja Fürth und immer zwei andere, die schlechter sind. Europaleague? Kommt für diese Mannschaft noch zu früh, besser gleich auf Platz 3 landen. Saisonziel? Schnell die 40 Punkte holen. Zusatzziel? Vor Wolfsburg stehen am Ende.

Mit dem schönen Schlußspurt gegen Bremen gelang nicht nur mal wieder ein Heimsieg gegen  die Hanseaten, dank des Eigentors des Wolfsburgers Rodriguez in der letzten Minute hüpfte der Club noch auf Platz 10 und holte mit 44 Punkten einen Punkt mehr als Heckings Europacupaspiranten. 44 Punkte, das sind zwei mehr als in der Vorsaison, in der es auch Platz 10 gab.

Seit der kernigen Aussage von Aufsichtsratsmitglied Klaus Schramm, „…mit der jetzigen Mannschaft kommt man nicht weiter…“  frage ich mich welches „weiter“ dem Herrn Schramm denn so vorschwebt. Vor einem Jahr habe ich nach einer negativen Heimbilanz (6-4-7) mit 22 Punkten gesagt, dass müsste besser werden. Damals stand der Club in der Heimtabelle auf Platz 13. Jetzt steht er mit sieben Siegen, sechs Unentschieden und vier Niederlagen auf Platz 9. Bei diesen sechs Untentschieden gehören die beiden 1-1 gegen Bayern und Dortmund zu den sportlichen Glanzlichtern der abgelaufenen Spielrunde. Aber um gegen Augsburg, den HSV, Freiburg und Hannover 96 zu gewinnen braucht es keine neuen Spieler. Es braucht die Zielstrebigkeit, die gegen stärkere Gegner wie Mainz und Schalke zu drei Punkten führte und die Courage, die gegen Düsseldorf und Bremen die letzten beiden Spiele drehen half. Mit diesen acht Punkten mehr hätte man 52 Punkte und stünde vor Freiburg und Frankfurt auf Platz 5. Siebzehn Heimsiege wären übrigens auch schon 51 Punkte. Klar, das ist Kaffeesatzleserei, aber bevor der Vorstand den frisch entschuldeten Verein wieder in die Miesen stürzt, lieber eine Hochrechnung mehr.

Die Abwehr, sechstbeste in der Liga, ist ein echtes Sahnestück. Ähnlich wie Dortmund (Subotic, Hummels, Santana) ist der Club in einer komfortablen Lage und verfügt über drei gleichwertige Innenverteidiger (Klose, Nilsson, Simons). Die Offensive läßt mit 39 Toren ein wenig zu wünschen übrig. Das ist der fünftschlechteste Wert, zehn Tore haben Abwehrspieler erzielt. Aber Freiburg wäre mit 45 Toren fast in die Qualifikation zur Champions League gekommen. Plattenhardt, Pekhart und Mak, das könnte eine ähnlich geile Combo werden wie Saenko, Schroth und Vittek. Plattenhardt schlägt Flanken wie der junge Pander, „der fliegende Robert“ Mak lernt allmählich seinen Kopf zu gebrauchen, und Pekhart ist ein Glücksgriff. Wiederhole: Glücksgriff.

Wenn, ja wenn die Götze-Millionen nicht eine Kettenreaktion in Gang setzen. Dann sind Kyiotake (meiste Assists mit ruhenden Bällen in der Liga), Nilsson (torgefährlichster Abwehrspieler der Liga) und Esswein (pfeilschnellster Linksaußen der…naja, fast jedenfalls) plötzlich weg, und der Club kann mit mehr Geld um sich werfen, als Herrn Schramm lieb ist. Im Zweifel werden wir auch in einem Jahr im gesicherten Mittelfeld stehen – und selbstverständlich wenigstens einen Platz vor Hecking, wohin ihn das Karrieresprungbrett auch katapultiert haben mag.

Die Hoeneß-Apologetik entdeckt die Volksgemeinschaft

Wenn ein Angehöriger der Oberen Zehntausend unter dem Verdacht steht, ein Betrüger zu sein, entdecken seine Apologeten die deutsche Volksgemeinschaft für sich. Das war bei Guttenberg so, das war bei Wulff so, das ist bei Hoeneß wieder so. Richard Herzinger schreibt am 27. Apeil auf welt.de, Hoeneß habe ein Verbrechen gegen die „kollektive deutsche Volksseele“ begangen. Und weil der Storch die Kinder bringt, findet Herzinger dannnicht nur Wut und Entrüstung, sondern auch selbstmitleidige Enttäuschung und nölende Beleidigtheit“, ferner die „tränenselige Anklagehaltung einer medial potenzierten Volksmeinung“. Diese werfe Hoeneß vor, seine Seele an den schnöden Mammon verraten zu haben. Die darin zum Ausdruck kommende Trennung zwischen „entfesselten angelsächsischen Raubtierkapitalisten“ und „’sozialverträglichen’, da vom Volksganzen an die Kette gelegten und zu dessen Gunsten ‚gemolkenen’ Unternehmertum“ sei eine bizarre Fiktion, die tiefe Wurzeln in der romantischen deutschen Volkstumsideologie habe.

Wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo die Volksgemeinschaft her. Die Beflissenheitspublizistik entsichert ihren Blut-und-Boden-Revolver, wenn es darum geht, rechtsfreie Räume für Menschen zu verteidigen, die sich gleicher wähnen als nur gleich vor dem Gesetz. Für Herzinger ist Steuerhinterziehung Privatsache: „Wer sich dabei erwischen lässt, hat Pech gehabt und muss, wie bei jeder Gesetzesübertretung, die rechtlichen Konsequenzen tragen.“ Deshalb sei zu dem „Fall Uli Hoeneß“ nichts mehr zu sagen.

Was aber, wenn der Privatmann Hoeneß sich vor den staatlichen Karren spannen lässt, um Gemeinschaftswerte zu propagieren? Im Sommer 2012 profilierte sich der erfolgreiche Wurstfabrikant als Juryvorsitzender für einen Fotowettbewerb auf der Website des bayerischen Innenministeriums, die für Engagement im Ehrenamt wirbt. Neben einem Foto von Hoeneß grußwortet es dort: „Liebe Ehrenamtliche, mit Ihrem Einsatz für unsere Gesellschaft sind Sie Vorbilder! Wir brauchen Menschen wie Sie, die ihre eigenen Interessen zurückstellen und sich für andere einsetzen.“ Hallöchen Volksgemeinschaft. Unsere Ehre heißt Amt, hätte Herzinger wohl bramarbasiert, wenn er diesen Mummenschanz vom ehrenwerten Unternehmer gekannt hätte.

Für Herzinger liefert Steuerhinterziehung, überhaupt der kontrollierte Rechtsbruch, auch einen demokratietheoretischen Mehrwert. Schummeleien gegenüber dem Staat wie die schwarz beschäftige polnische Altenpflegerin gehörten zu den Voraussetzungen für das Funktionieren eines freien Gemeinwesens. „In diesem Sinne ist jeder Steuerpflichtige, der ein geselliges Abendessen beim Finanzamt als Geschäftstermin ausgibt, ein wenig daran beteiligt, das für eine freie Gesellschaft unerlässliche Spannungsverhältnis zwischen staatlich definiertem Gemeinwohl und ungezähmtem Einzelinteresse zu erhalten.“

Auf, wackere Demokraten, lasst uns Altöl in den Wald kippen, um die Müllgebühr zu sparen. Lasst uns blau machen, wenn wir im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Lasst uns schwarz fahren und Hartz IV abzocken, aber bitte nicht mehr als Klaus Zumwinkel Steuern hinterzogen hat.

Weil die Sehnsucht nach anständigem Unternehmertum so tief in der deutschen Volksseele verankert ist, gibt es auch ein altes trutziges, deutsches Wort dafür. Es heißt Compliance und kommt von der Wall Street. Die liegt am Hudson River in einem altgermanischen Siedlungsgebiet. Ups, das war jetzt ein Recherchefehler. Compliance kommt aus der Muttersprache des angelsächsischen Raubtierkapitalismus und heißt Regeltreue: die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und freiwilligen Kodizes. Herzilein, du musst nicht traurig sein. Compliance ist durch und durch transatlantisch, so westlich wertegemeinschaftlich wie freier Waffenbesitz und Angriffskriege. Es sind die USA, die seit Jahren Druck auf die Schweiz ausüben, um die Schwarzgeldökonomie dort still zu legen. Es sind us-amerikanische Politiker, die der Kongress stundenlang in die Mangel nimmt, bevor sie Minister werden. Die us-amerikanische Juristin Zoe Baird durfte vor zwanzig Jahren nicht Generalstaatsanwältin der USA werden, weil sie ein Kindermädchen und einen Chauffeur ohne Sozialabgaben beschäftigt hatte. Nicht aus Polen, sondern aus Peru. Sie musste 2900 Dollar Strafe zahlen. Zumwinkel zahlte eine Million Euro, an die Allgemeinheit übrigens, wie jeder, eine Geldstrafe zahlt. Der Freiheit eine Kasse.