Die 3000 von der Tankstelle

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Am Freitag war ich in der Alten Försterei und habe dort das 1-0 des 1. FCN gegen Union Berlin gesehen. Ich saß direkt hinter der Nürnberger Bank, so nah dran, ich konnte sehen, dass sich Andreas Bornemann die Haare färbt. Was nicht viele wissen: Bornemann ist Erster Vorsitzender des Frank-Walter-Steinmeier-Fanclubs Nürnberg-Doos. Und die Weiterentwicklung der modernen Haarpflege macht es möglich, dass die Menschen in unserem Land ihrem Idol in Schloss Bellevue nacheifern können. So viele sind es, dass Frank-Walter Steinmeier bei einem Frank-Walter-Steinmeier-Ähnlichkeitswettbewerb vor ein paar Jahren nur Dritter wurde.

Köllner – der Sozialkundelehrer, den ich nie hatte

Michael Köllner sieht aus wie der Sozialkundelehrer, den ich nie hatte. Drahtig und konzentriert coachte er engagiert und unaufdringlich, verbesserte die sowieso schon recht gut stehende Defensive beim Club unablässig und freute sich beim Schlusspfiff wie das gesamte Funktionsteam über den Krimi mit Happy End. Rechts von mir auf der Stehtribüne sangen 3000 siegestrunkene Clubfans von einem gewissen „Aufstieg“, was immer dieses Wort auch bedeuten mag. Zumindest minutenweise war es ihnen gelungen, den Union-Fans akustisch den Schneid abzukaufen. Manchmal war es ziemlich still auf der Waldseite, da kontrollierte die Tankstellenseite die Stimmung, und die Mannschaft au der Noris Ball und Gegner.

Es gab trotzdem ein paar gute Chancen für Union, die beste entschärfte Fabian Bredlow mit einem Jab, der Muhammad Ali würdig war. Der Club hatte ein paar fahrig zu Ende gespielte Konter, was sich diesmal 83 Minuten lang nicht rächen sollte, vor allem aber bot er aufopferungsvolle und intensive Verteidigungsarbeit. Der erste Verteidiger war Mikael Ishak, der sich zwischen den Abwehrbolzen der Eisernen aufrieb und dem bei der einen oder anderen Offensivaktion die letzte Spritzigkeit fehlte. Federico Palacios ist ein echter Gewinn. Er hatte ein paar Missverständnisse mit Mitspielern, aber er kann Bälle halten und verteilen und ist spielintelligent. Genau wie Patrick Erras, der zwar ein paar miserable Pässe spielte, aber viele wichtige Kopfballduelle gewann und das Spiel lesen kann wie sonst niemand beim Club. In der zweiten Halbzeit gab es viele Zweikämpfe an meiner Außenbahn, aber trotz der drei Roten Karten war es ein vollkommen faires Spiel. Die erste Gelbe Karte gab es in Minute 71. Hier zu Null zu gewinnen ist eine echter Schritt nach vorne, zumal an diesem Wochenende alle bis auf Düsseldorf für den Club spielten.

Es ist ein Ehre, in der Alten Försterei Gast sein zu dürfen

Ein Spiel in der Alten Försterei ist ein sagenhaftes Erlebnis. Einmal im Leben sollte man da gewesen sein. Man kann ahnen oder sich erinnern, was für ein schöner Sport Fußball einmal war, bevor er in die Fänge des Privatfernsehens geriet. Die Leute sind freundlich, tiefenentspannt, sachkundig und in der Niederlage höflich. Sie pflegen eine innige Liebe zu ihrem Verein, wie es sie hierzulande wohl nur noch im Ruhrgebiet gibt. Der Umgangston ist herzlich-familiär, auch auf der Herrentoilette beim Andrang wegen Harndrang in der Halbzeitpause fliegen nicht die Urinbecher, sondern die Scherzworte hin und her. Um mit Heiner Stuhlfauth zu sprechen: Es ist eine Ehre, hier Gast sein zu dürfen. Allerdings habe ich auch das Hinspiel in Nürnberg gesehen, wahrscheinlich zum ersten Mal denselben Verein in Hin- und Rückrunde erlebt. Und Union ist nicht mehr so bissig und gefährlich wie unter Jens Keller. Auch im Hinspiel führte der FCN 1-0, aber ich hatte immer das Gefühl, Union kann ein Tor erzielen. Das war am Freitag anders. Sie waren fleißig und engagiert, aber der letzte Zug zum Tor war nicht da. Vor allem in den ersten 20 Minuten von Halbzeit Zwei, als Union gefühlt 99 Prozent Ballbesitz hatte. Ich fürchte, mit der Entlassung haben die Eisernen ihre Chance auf den Aufstieg vertan. Es wäre so schön, wenn sie aufsteigen würden. Nächstes Jahr werden Wolfsburg, Stuttgart, Köln oder der HSV unten spielen, einen von den vermeintlich Großen erwischt es. Mein Favorit dafür wird mehr und mehr der VfB Stuttgart. Ich hoffe, diese prätentiöse Versammlung von Größenwahn zerlegt sich im letzten Drittel der Saison endgültig selbst. Die Entlassung von Hannes Wolf war da nur der erste Schritt. Wobei, der HSV hat es genauso verdient abzusteigen.

„Aufstieg“, jenes sagenumwobene Wort

Der Club ist besser geworden seit dem dritten Spieltag. Aus manchem der 20-jährigen jungen Hüpfer ist nach sechs Monaten ein gestandener 20-jähriger Zweitligaspieler mit 20 Einsätzen geworden, für den die Zeit gekommen ist, „den nächsten Schritt“ in seiner internationalen Karriere voranzutreiben. „Der nächste Schritt“ wäre echt mal ein Kandidat für das Unwort des Jahres. Im August 2017 war Hanno Behrens der einsame Leader und Torschütze zum 2-2 in der Nachspielzeit, die Mannschaft suchte sich noch. Enrico Valentini war im Hinspiel ein Unsicherheitsfaktor, diesmal ein bärenstarker Außenverteidiger. Der Club hat jetzt mit 37 Punkten einen mehr als in der Relegationssaison unter René Weiler. Damals auf Platz 3, heute auf Platz 2. Damals drei Punkte Vorsprung auf Platz 4, heute sechs. Damals acht Punkte Rückstand auf Platz 1, heute drei. Vielleicht wissen die 3000 von der Tankstelle ganz genau, was es bedeutet, dieses sagenumwobene Wort „Aufstieg“.

Schluss mit der Schwarz-Weiß-Malerei

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Es ist schon erstaunlich, wie einhellig die Zweitligisten ihr Wintertrainingslager von der Türkei nach Spanien verlagert haben. Von Belek nach Benidorm führt der Weg, als hätte der DFB eine Kaninchenstallorder herausgegeben. Der Quartierwechsel ist vorbildlich, denn in der Türkei herrscht ein undemokratischer Finsterling, der die Unabhängigkeitsbestrebungen ganzer Landstriche beiseite wischt, Schülerinnen und Schüler niederknüppeln lässt, sowie Regionalwahl und Referendum einfach ignoriert. Halt! Das ist simplifizierende Schwarz-Weiß-Malerei. Wir müssen lernen, zu differenzieren. Außerdem hat Fußball, Sport ganz allgemein, nichts mit Politik zu tun. Entscheidend vor Ort sind immer die Trainingsbedingungen, niemals die Haftbedingungen. Es sei denn, Schalke hat Gazprom als Trikotsponsor. Das zog einen Taumel menschenrechtlicher Empörung nach sich, der von Gelsenkirchen bis Wladiwostok reichte.

Entscheidend Sind Trainingsbedingungen, nicht Haftbedingungen

Der 1. FC Nürnberg reist in die Nähe von Valencia, wo sich von November 1936 bis November 1937 der Sitz der Regierung der Spanischen Republik befand, ehe diese nach Barcelona umzog. Valencia wurde von Francos Luftwaffe massiv bombardiert, aber Fußball, Sport ganz allgemein, hat ja nichts mit Politik tun. Im Moment ist der FC Valencia Tabellendritter in La Liga und steht vor Real Madrid. Das ist eine noch größere Überraschung als Schalke in der Bundesliga auf Platz 2 vor dem BVB. Der FC Valencia, dessen Farben schwarz und weiß sind wie die von Juve und den Magpies (Elstern) von Newcastle United sowie Schalke haben beide 11 Punkte Rückstand auf den Tabellenführer. Das kann mir im Vergleich zur Zweiten Liga nur ein höfliches Gähnen entlocken. Dort hat der Tabellensiebte SV Sandhausen sieben Punkte Rückstand auf Düsseldorf. Auch Sandhausen spielt in schwarz-weiß. Man kann im Unterhaus, das nicht mit dem House of Commons verwechselt werden darf, weil Fußball, überhaupt Sport, nichts mit Politik zu tun hat, bis auf Platz 13 hinabklettern, um mit Erzgebirge Aue eine Mannschaft zu finden, die elf Punkte Rückstand auf den Tabellenführer hat.

Cedric Teuchert ist zu Schalke gegangen. Wenn ich lese, dass er etwa ein Milliönchen gekostet haben soll, muss ich wieder die Stirn runzeln über die 1,5 Mio. für Guido Burgstaller vor einem Jahr; das beste Kampfschwein seit Marc Wilmots, vielleicht sogar noch ein bisschen besser. Aber Andreas Bornemann leistet trotz dieses schäbigen Schnäppchens gute Arbeit. Teuchert zu Tedesco ist sicherlich sinnvoller als Abdelhamid Sabiri zu Huddersfield, der es dort an 22 Spieltagen zu vier Einsätzen und 79 Spielminuten gebracht hat. „Die Chance seines Lebens“ wolle er nicht verpassen, sagte er, bevor er schmollend davon zog. Teuchert spielte in den fünf Spielen vor der Winterpause 16 Minuten, der Club holte acht Punkte. Kein substantieller Verlust also, trotzdem ist Cedi unsterblich, dank Tor und Assist bei den Leuten aus Vach.

Viktor Orbán, ein lupenreiner Antisemit

Sandro Wagner, der Alt- und Neubayer hat übrigens tapfer versucht zu differenzieren, als man ihn nach den politischen Zuständen in Katar fragte. Er umdribbelte elegant Trainingsbedingungen wie Arbeitsbedingungen und sagte, er kenne sich in bayerischer Politik besser aus. Ob Wagner weiß, dass Viktor Orbán, der Stargast auf der Klausurtagung der CSU in Seeon, ein lupenreiner Antisemit ist? Wenn Dampfplauderer Dobrindt Konservative Revolution macht, wird es nicht mehr lange dauern, bis Kinder auf Schulhöfen wieder verdroschen werden, nur weil sie Sandro heißen. Aber das ist Schwarz-Weiß-Malerei. Fußball, Sport allgemein, hat mit Politik nichts zu tun. Über Antisemitismus reden wir nur, wenn Ashkan Dejagah ein Länderspiel gegen Israel absagt. Wir müssen lernen zu differenzieren.

Maximus Morlockus – ein fränkischer Exorzist

Selbst der kicker hatte gestern nichts zu meckern. Nach dem 3-0 gegen den 1. FC Kaiserslautern zum Auftakt dähamm gab es dort Lob für Clubcoach Michael Köllner. In den Wochen zuvor beschränkte sich die Saisonprognose darauf, Köllner seine kühnen Aussagen zu Beginn seiner Amtszeit Anfang 2017 immer wieder aufs Brot bzw. aufs Wäggla zu schmieren. Das Konzept, in der Rückrunde der vergangenen Saison mitten im Abstiegskampf ein System mit hohem Gegenpressing und kultiviertem Flachpass einzustudieren, war tollkühn. Hans Meyer stabilisierte den Club im Herbst 2005 zunächst mit einem Libero. Aber lieber ein wagemutiges Konzept als gar keins, so wie beim Vorgänger Alois Schwartz. Den verteidigte der kicker noch mit Zähnen und Klauen, als er schon entlassen war. Köllner hat gezockt und gewonnen. Genau wie Sportvorstand Andreas Bornemann. Der verzichtete auf Kevin Kutschke und Guido Burgstaller und hatte damit das Geld für Sebastian Kerk und die Verlängerung mit Hanno Behrens zur Hand. Bornemann hat seine Kritiker, darunter auch mich, eines Besseren belehrt. Kerk und Behrens sind zwei echte Big Points bei der Kaderplanung. O holde Frankenseligkeit.

Maximus Morlockus – Bierbrauer und Bettelmönch

Weil das Spiel  (Zu-Null!) so schön anzusehen war, geriet in den Hintergrund, dass es das erste Pflichtspiel im Maximus-Morlockus-Stadion war. Maximus Morlockus war ein Bettelmönch im 14. Jahrhundert, der sich aufs Exorzieren spezialisiert hatte. Sein Geburtsjahr kennt man nicht genau. Man vermutet, dass er 1327 in Weissenohe bei Forchheim das Licht der Welt erblickte, wo er der dortigen Klosterbrauerei als Findelkind vor die Tür gelegt wurde. Als gelehriger Adlatus des Braumeistermönchs brachte er es zu Fachkunde und Wissen. Seine kleine Schrift über die Braukunst Dä Daiffel stegd fei im Dedail aus dem Jahr 1351, die sich noch heute in der Bibliothek des Klosters befindet, verweist auf sein späteres Lebensthema. 1359 verließ Morlockus das Kloster, weil er sich mit dem neuen Braumeister, dem Nachfolger seines Ziehvaters, zerstritten hatte. Dieses Stammwürze-Schisma schwimmt heute noch wie eine tote Fliege im Maßkrug auf der sonst so süffigen Klostergeschichte. Morlockus aber ging seinen Weg. Er wanderte landauf landab durch Franken und lebte vom Exorzieren. Für seine Zeit war er außerordentlich modern. Er führte ein Rabattsystem für seine Stammkunden ein („Sammeln Sie Treuekreuze?“) und machte Sonderangebote für hohe Feiertage. Das Weihnachtsspecial aus dem Jahr 1360 Drey für zwey, Underdaiffel mid dabey ist ebenso im Germanischen Nationalmuseum überliefert wie sein Notzbüchlein. Dort findet man kurz vor seinem Tod im Jahr 1381 den Eintrag: www.auf-teufel-komm-raus.de. Als Visionär seiner Epoche dachte Morlockus offenkundig auch über Werbung im Internet nach, lange bevor es erfunden war. Außerdem konnte er Hochdeutsch, wenn es sein musste. Das Stammwürze-Schisma tat dem kommerziellen Erfolg der Brauerei in Weissenohe keinen Abbruch, weshalb sie zu Beginn der neuen Saison die Namensrechte am Heimstadion des 1. FC Nürnberg erwerben konnte. Ein kluger Schachzug war es, nicht dem billigen Trend zu folgen, und das Stadion einfach in Saufaus-Arena umzubenennen, sondern den berühmtesten Sohn Weissenohes, Maximus Morlockus, als Namenspatron zu wählen.

700 Tore für den Club und eins gegen Ungarn

Sein Name – das ist in Franken ein offenes Geheimnis – hat verblüffende Ähnlichkeit mit einem der legendärsten Fußballer in den Reihen des 1. FCN. Max Morlock (1925-1994) ist neben Helmut Rahn, Paul Breitner, Gerd Müller, Andy Brehme und Mario Götze einer von sechs deutschen Spielern, die in einem WM-Endspiel trafen, das gewonnen wurde. Der gebürtige Nürnberger war beim Club Mannschaftskapitän, zweimal Deutscher Meister und Fußballer des Jahres. Für den Club erzielte er in 900 Pflichtspielen mehr als 700 Tore, darunter in der ersten Bundesligasaison 8 Tore in 21 Spielen. Morlock war damals 38 Jahre alt und liegt bei den ältesten Bundesligatorschützen auf Platz fünf – hinter Mirko Votava, Manfred Burgsmüller, Morten Olsen und Günter Sebert. Einmal war ich dabei, als mein Onkel Karten für ein Club-Heimspiel bei Morlock besorgte. Er hatte einen Laden für Zeitungen und Zigaretten. Ich hatte den Namen Morlock schon gehört und trotzdem keine Ahnung, weshalb er ein Mythos war. Aber mein Onkel wurde ehrfürchtig, das habe ich gemerkt. Der alte Maximus Morlockus hat am Sonntag die Roten Teufel astrein exorziert. Für die kommenden mindestens 900 Heimspiele möge Maxl Morlock dem Club stets ein wirksamer Schutzpatron sein.