Hoffentlich der HSV

Birger Hamann ist Sportredakteur bei Spiegel-Online. Am 31.3. hat er dort einen Artikel veröffentlicht, in dem er versucht, den HSV als die beste aller Möglichkeiten für Thomas Tuchel darzustellen. Wenn’s ein Aprilscherz war, war er verfrüht, ansonsten ist Humor auf SPON eher etwas für Eingeweide, wie wir in Franken sagen. Meist geschieht er unfreiwillig.

Der Text läßt wirklich nichts aus: Der HSV sei „eines der derzeit spannendsten Projekte der Bundesliga“. Wohl wahr. Kriegen Sie auf die Fresse oder auf den Sack? Spielen sie schlecht oder mies? Und welche Ausrede hat der gerade noch amtierende Trainer für die permanente Sieglosigkeit? Peter Knäbel, den offenbar ein Knäbel-Vertrag auf die Trainerbank zwingt, meinte im kicker, es sei symbolhaft für das Spiel, dass der stabilste Innenverteidiger das 0-1 in Leverkusen eingeleitet habe. Gut, alles ist relativ. Johan Djourou steht mit -26 Punkten im kicker Classic Manager etwa auf Platz 70 von etwa 80 Abwehrspielern und damit deutlich vor seinen Teamkollegen Marcos und Ostrzolek.

Aber keine vorschnellen Schlüsse. Der Kader ist der erste von fünf Gründen, der den HSV laut SPON so attraktiv für Tuchel macht. Die Offensivakteure Holtby, Müller, Beister und Lasogga hätten bereits bewiesen, „dass sie eine Mannschaft verstärken können“. Kommt immer darauf an, wie schwach die Mannschaft vorher war: Wandervogel Holtby bisher noch nirgendwo, Dauerpatient Lasogga schon länger nicht mehr, Nicolai Müller war manchmal gut in Mainz.

Grund zwei sei die professionelle Infrastruktur: Zwar hat Hamann den „manchmal etwas redseligen Aufsichtsratschef Karl Gernandt“ ausfindig gemacht, trotzdem ist keine zehn Zeilen später “ die Zeit der Indiskretionen“ vorbei. Außerdem sollen zusammen mit dem Bau des HSV-Campus Nachwuchsteams aufgebaut werden. Echt jetzt? Und in nur zehn Jahren werden dann die Götzes und die Lahms, die Rüdigers und die Khediras sich die Klinke in die Hand geben. Viele Vereine leisten hervorragende Nachwuchsarbeit, Stuttgart und Freiburg zum Beispiel, auch wenn sie unten drin hängen. Dass ein noch zu schaffender Nachwuchsbereich dem HSV Zugang zu den Spitzenplätzen der Liga verschaffen wird, ist so realistisch wie ein Wechsel von Messi an die Elbe, weil dieser über Nacht Hans-Albers-Fan geworden ist. Aber trotzdem wird das auf SPON als die neue „Klub-Philosophie“ verbraten, drunter geht es nicht.

Argument drei und vier sind die leidensfähigen Fans und der Umstand, dass der HSV bisher noch nicht abgestiegen ist. Außerdem biete Hamburg noch viel mehr Sponsorengelder, die sich planlos verballern lassen. Tuchel wird der Türöffner für die Schatullen der Entrepreneureichen und des hanseatischen Geldadels gleichermaßen, raburick barbatrick, einfach so. Vielleicht baut der neue Trainer nach seiner ersten Meisterschaft sogar ganz allein die Elbphilharmonie fertig. Bestimmt sind die HSV-Fans, gemessen an ihrer eigenen Erwartungshaltung, äußerst leidensfähig, aber die Probe aufs Exempel sind dann doch ein paar Jahre Zweite Liga oder vielleicht sogar Dritte Liga, um sich ungestört vom Medienrummel in der Medienstadt Hamburg neu zu erfinden. Löwen-Fans, Fortuna-Fans, Dynamo-Fans, MSV-Fans, die sind leidensfähig. Ob HSV-Fans leidensfähig sind, oder nur vom Dauerdusel verfolgte Prinzessinnen auf Erbsen, kann nur ein zünftiger Abstieg erweisen.

Als letztes Argument werden die wenig attraktiven Alternativen für Tuchel genannt: Bei Leverkusen, Bayern, Dortmund, Hoffenheim, Schalke, Wolfsburg – alles Mannschaften, mit denen der HSV seit Jahren auf Augenhöhe wetteifert – stünde im Moment kein Trainerwechsel an. Wenn sich Hamann da nicht täuscht. Wer RB Leipzig ernsthaft in Erwägung zieht, der findet vielleicht auch an Bremen Gefallen. Da gibt es übrigens schon einen funktionierenden Nachwuchsbereich, der Spieler hervorbringt, die verkäuflich sind.

Ich denke, Tuchel wartet jetzt noch ein paar Wochen, bis die gefühlsechte Liebe zwischen Klopp und Borussia auf Platz 13 langsam ausgeklungen ist, und geht dann zu einem funktionierenden Verein, der eine schlechte Saison spielt. Also zu Schalke, jetzt, nachdem di Matteo die Champions League vergeigt hat.

Und der HSV macht sich hoffentlich vom Acker, bis er und sein Umfeld wieder realitätstaugliche Situationsbeschreibungen liefern können.

 

 

Bayern wieder taktisch unterlegen

Es wäre zu leicht, die Niederlage der Bayern gegen Gladbach an Neuers Fehler fest zu machen. In erster Linie war es eine kluge und leidenschaftliche Mannschaftsleistung der Gladbacher, die den Sieg in München brachte. Nach zehn Minuten fiel den Bayern nichts mehr ein, Gladbach war läuferisch besser und handlungsschneller, außerdem nahmen sie die Zweikämpfe an, manchmal etwas ruppig zwar, das brutalste Foul des Spiels aber kam aber von Schweinsteiger und blieb ungeahndet.

Apropos ungeahndetes Foul. Es ist schon merkwürdig, dass die Bayern die beiden  Spiele verloren haben, in denen es keine Fehlentscheidungen zu ihren Gunsten gegeben hat. Natürlich haben sie nicht jedes ihrer Spiele wegen einer Fehlentscheidung gewonnen, aber es gab einige, die auf der Kippe standen (zuletzt Hannover, Bremen), und bei denen Schiedsrichtergeschenke den Ausschlag gaben. Beim 1-4 in Wolfsburg und gestern gab es keine Großzügigkeiten des Referees, und am Ende gewann das taktisch klügere Team. Vermutlich wird Rummenige Guardiola demnächst zurechtweisen: Fußball ist kein Stierkampf.

Die Bilanz der Bayern gegen Wolfsburg, Gladbach und Schalke (Platz 2,3 und 5)  ist mit drei Unentschieden, zwei Niederlagen und einem Sieg äußerst durchwachsen und spricht nicht für ein grandioses Saisonfinale. Die Kantersiege gegen Paderborn und den unsäglichen HSV sind kein Maßstab, auffällig ist die große Abhängigkeit von Robben in dieser Saison. Der spielte tatäschlich häufig Weltklasse, aber sonst halt keiner.

Es kann schon sein, dass sie wieder Meister werden, Wolfsburg und Leverkusen haben zu viele Punkte liegen lassen, aber wer will schon acht Spieltage erleben, bei denen die Verfolger immer näher kommen und die Bayern ins Ziel wanken? Und ob es in der Champions League zu mehr reicht als zum Halbfinale, mals sehen. Auch in Donezk waren sie einfallslos, zuhause half ihnen dann ein Platzverweis nach drei Minuten in die Spur.

Apropos Champions League. Mit Jens Keller qualifizierte sich Schalke zweimal in Serie für diesen Wettbewerb. Dann wurde er entlassen. Unter Di Matteo muss die Mannschaft um die Europa League bangen. Vielleicht sollten Horst Heldt und Martin Bader auf die Fanfreundschaft zwischen dem Club und Schalke noch eine Managerfreundschaft setzen. Sie scheinen bei ihrer Personalpolitik Brüder im Geiste zu sein.

 

 

Eine Runde Armageddon für Alle

Der Schang, Jean Löring, der langjährige Präsident von Fortuna Köln, hat 1999 einmal seinen Trainer Toni Schumacher in der Halbzeitpause entlassen, als seine Fortuna gegen Waldhof 0-2 zurücklag. Abgesehen davon, dass jeder Jeck anders ist, sind solche Schnellschüsse eher selten. Warum in aller Welt also denkt man in Nürnberg über eine Entlassung von Trainer Ismaël nach, während die erste Halbzeit (der Saison) noch läuft, obwohl das Saisonziel noch erreichbar ist und die Mannschaft sich spürbar weiterentwickelt?

Sicher, Nürnberg steht nach 13 Spieltagen mit 14 Punkten auf Platz 14 und hat nach St. Pauli die schlechteste Abwehr. Aber welche realistischen Erwartungen durfte man an den Club haben für den 14. Spieltag? Welchen Tabellenplatz und welche Bilanz müsste er jetzt vorweisen, damit es keine Trainerdiskussion gibt? Im Moment hat er sieben Punkte Rückstand auf Platz 3. In der Vorsaison stand der spätere Aufsteiger Paderborn am 13. Spieltag auf Platz sieben und hatte fünf Punkte Rückstand auf Platz 2. Die Bild-Zeitung wetzt schon freudig die Messer und behauptet, dieser Rauswurf ziehe sich „wie Kaugummi“. Wann hätte man den Trainer dann entlassen sollen? Nach dem 1-5 gegen Fürth am zweiten Spieltag? Das wäre das richtige Signal für den langen Atem beim notwendigen Neuaufbau. Oder vielleicht besser nach dem 0-3 gegen Heidenheim am siebten Spieltag? Danach folgten die sieben Punkte gegen Kaiserslautern, Bochum und Leipzig. Dann vielleicht nach dem Unentschieden gegen St. Pauli, bei dem die Mannschaft zweimal zurückkam, obwohl sie krass benachteiligt wurde?

Sage jetzt keiner, Skripnik hat mit Werder auch schon dreimal gewonnen. Skripnik hat eine Mannschaft vorgefunden, die über zwei Jahre zusammengestellt wurde und ihre Leistung nicht abrufen konnte. Der Club muss erst einmal eine neue Mannschaft aufbauen, bevor man über deren (nicht abgerufenes) Leistungsniveau Aussagen treffen kann. Daran und nur daran sollte man die Arbeit des Trainers messen. Nicht am Tabellenstand und nicht am einen oder anderen verhunzten Spiel: Wirklich indiskutabel waren bisher drei Spiele: das 0-1 zuhause gegen den FSV Frankfurt, sowie die beiden 0-3 in Karlsruhe und Heidenheim. Das 1-5 in Fürth und das 0-2 zuhause gegen Düsseldorf fing man sich gegen zwei eingespielte Aufsteigsanwärter ein, gegen Darmstadt und Sandhausen war man gut im Spiel und scheiterte an der Unerfahrenheit. Und die muss wachsen, die bringt auch ein neuer Trainer nicht Ready-to-Play nicht einfach mit.

Ismaël macht sehr viel richtig: Er hat Rakovsky zur Nummer Eins gemacht, anders als in der Abstiegssaison, als der Club an seiner Ideenarmut im Offensivbereich scheiterte, erspielt sich diese Mannschaft ständig Chancen und hat statt eines Kreativspielers im Schmollwinkel (Kiyotake)  mit Schöpf, Candeias, Sylvestr und Füllkrug gleich vier davon in der Offensive. Ähnlich wie Schmidt bei Leverkusen besteht der Coach darauf, dass der Club immer, egal bei welchem Spielstand, das Spiel machen soll. Das wurde gegen Bochum und St. Pauli belohnt, gegen Sandhausen und Darmstadt nicht. Das langatmige Ballgeschiebe, das das letzte Drittel der Vorsaison bestimmte und auch unter Hecking viel zu oft praktiziert wurde, ist unerwünscht. Und nach vorne läuft das Bällchen immer wieder richtig gut. Wer Kaiserslautern eine Stunde lang aus dem Stadion spielt, hat ohne weiteres das Potenzial, rechtzeitig noch in das Aufstiegsrennen einzugreifen. Natürlich muss die Abwehrleistung besser werden, gerade das Siegtor von Sandhausen war ein Beitrag aus dem Katalog für Slapstickeinlagen. Immerhin aber hat man auch schon drei Mal zu Null gespielt, einmal gegen den Millionensturm von RB Leipzig. Auch in diesem Spiel bot der Club eine Leistung, die das Ziel sofortiger Wiederaufstieg als realistisch erscheinen läßt.

Es gibt genug Beispiele dafür, dass Geduld sich lohnt: der zunächst auf ganzer Linie gescheiterte Hjulmand in Mainz, Stöger in Köln, Korkut in Hannover, alle Jahre wieder Streich in Freiburg, nicht zuletzt auch der Duracell-Guru von Lüdenscheid. Umso mehr gilt das, wenn ein neuer Trainer mit einer komplett neuen Mannschaft arbeiten muss. Einen derart radikalen Umbruch wie beim Club hat es nicht oft gegeben. Dieser Umbruch war vollkommen richtig. Bis auf Kyiotake (seit drei Spielen) bei Hannover, Mak bei Thessaloniki und mit Abstrichen Hasebe bei Eintracht Frankfurt und Angha bei 1860 München sind die abgegebenen Spieler meilenweit von ihren persönlichen Zielen und den Erwartungen ihrer Vereine entfernt: Nilsson wollte mit Kopenhagen in die Champions League, das in der Europa League gerade 0-4 zuhause gegen Brügge verlor und in der Gruppe auf Platz 3 steht. Plattenhardt (zu Hertha), Chandler (zu Frankfurt), Feulner (zu Augsburg) wollten einen Stammplatz bei einem Bundesligisten und sind außen vor, Drmic ist bei Leverkusen ungefähr so wertvoll wie Schieber bei Dortmund, Ginczek steht nach seinem Kreuzbandriss nach wie vor ohne einzige Minute da, Stuttgart ist Letzter. Pekhart (bei Ingolstadt) wurde in sieben Spielen sechs Mal frühestens in der 64. Minute eingewechselt und ist bisher torlos. Mike Frantz schlägt sich gut in Freiburg, das ist der einzige Spieler aus dem alten Kader, den Bader nicht hätte verkaufen dürfen.  Aber der große Umbruch zu Saisonbeginn war genau richtig, auch wenn Bader dafür anhaltend verbale Prügel bezieht.

Es wäre ein Jammer, ein richtungsweisender Fehlgriff, wenn der Verein jetzt Ismaël feuert. Es wäre die vierte Neuausrichtung in weniger als zwei Jahren, seit Heckings Abgang Weihnachten 2012. Der Club nähert sich damit wieder seinen finstersten Zeiten an und äfft den HSV nach, der seit 2007 elf verschiedene Trainer hatte. Der Verein wird dadurch nicht attraktiver für Trainer, die das besitzen, was jeder haben will: ein Konzept und eine eigene Handschrift. Gegen Kaiserslautern hat Ismaël beim Stand von 3-2 in der 78. Minute seinen designierten Abwehrchef Hovland eingewechselt. Der Norweger absolvierte damit seine ersten zwölf Saisonminuten, und der Club brachte das Ding nach Hause. Das hat Stil, das ist Klasse, da ist mutiges Coaching belohnt worden. Gegen Sandhausen hat Ismaël dafür bezahlt, dass er Pinola eine neue Chance gegeben hat. Pino ist Kult, Fußballgott und Pokalsieger, aber seine Fehler in Serie haben den Club am Freitag um einen Punktgewinn gebracht. Aber dass Ismaël seinen Spielern vertraut, auch einem alten Haudegen, das war groß. Ismaël ist bereit, ins Risiko zu gehen und er denkt sich etwas dabei. Obwohl er in Wolfsburg ganz andere Möglichkeiten gehabt hätte, hat er sich für den Club entschieden.  Der Club sollte mit Ismaël weiterarbeiten.  Nach dem Derby gegen Fürth am 20.12. wird der Rückstand auf Platz 3 geringer sein als heute. Danach ist alles drin.