Frauen sind was Wunderbares

Das Auftaktspiel am Sonntag war ein richtiges Sahnestückchen. Beim Spiel gegen Kanada war die Hütte voll und auch in einer kleinen und exklusiven Fanmeile im Bezirk Friedrichshain gab es kaum freie Plätze. Hertha wird seine neue volkstümliche Werbung nochmal stark verbessern müssen, um bei den Heimspielen mehr als 70.000 ZuschauerInnen anzulocken.

Im Chancen versemmeln standen die DFB-Frauen Borussia Dortmund zwar nichts nach, aber auch im Munter-nach-vorne-spielen hatten sie einiges zu bieten. Es gab einige Katastrophen-Fehlpässe in der Defensive, mit denen ein abgebrühteres Team als Kanada vermutlich viel Unheil hätte anrichten können. Taktisch war das Spiel von beiden Seiten besser, als das, was die meisten Bundesliga-Teams anzubieten haben. Die deutschen Außenstürmerinnen tauschten die Flügel, schnelles Direktspiel von beiden Seiten, gute Standards (Traumtor von Sinclair) und kaum Leerlauf. Keine Theatralik, keine Rudelbildung, keine Hahnen (Hennen?)kämpfe, kein dreimaliges Abrollen nach Foul, fast keine Fouls. Niemand forderte Gelb, niemand gestikulierte. Einfach nur Fußball. Bei dem Lattenkracher von Laudehr in der zweiten Halbzeit dachte ich mir nicht mehr: Ganz schön strammer Schuß für eine Frau, mein erster Gedanke ging zu Juninho Pernambuco und ich fragte, ob Schäfer den wohl gehabt hätte.

Vielleicht ist es so ähnlich wie in der Rezeptionsgeschichte des Jazz: Erfunden in den USA, gibt es dort eine unvergleichliche Vielfalt unterschiedlicher lokaler Idiome und eine tiefere Verankerung über viele Generationen hinweg. Der europäische Jazz ist anders, jünger, urbaner, aber hat seine eigene Sprache längst gefunden. Es macht wenig Sinn, Louis Sclavis gegen John Coltrane auszuspielen oder umgekehrt. In den USA ist die Konkurrenz eine ganz andere, das Feld ist riesig. Im Männerfußball ist das auch so, und es gibt vor allem das unerschöpfliche Reservoir an Mythen, Legenden, unsterblichen, längst verstorbenen Spielern, viele Schichten zahlreicher Kollektiverfahrungen. Der tanzende Thelonious Monk hat eine ähnliche Erinnerungsaura wie Pelé, beide aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Dieser Vorlauf läßt sich für die Frauen weder nachholen noch imitieren. Aber die Frage „Wo warst du beim Eröffnungsspiel 2011?“ enthält bereits das mythische Potenzial für kommende „Weißt du noch damals“- Kneipengespräche, die den Fußball zur unvergleichlichen sozialen Praxis machen. Seinen eigenen (künsterlischen) Ausdruck hat der Frauenfußball längst gefunden.

Der talentierte Mister Blatter

Klar, WM in Rußland, warum nicht. Bei der EM 2008 spielten die jungen Russen unter Hiddink Zauberfußball, ehe sie zum zweiten Mal zwischen Tiki und Taka genüßlich zermahlen wurden. Die Vereinsmannschaften sind zumindest in der Europa League immer vorne mit dabei. Die sowjetische Fußballtradition ist exquisit, Rußland ist das größte Land der Erde, von Kaliningrad bis Wladiwostok wird leidenschaftlich Fußball gespielt. Und nicht überall kaufen wichtigtuerische Oligarchen wahllos weltweit ein. Für manche Europäer ist es natürlich ein Schock, dass ihr Kontinent nicht nur aus den üblichen Verdächtigen besteht, nicht nur aus dem Old Boys‘ Network der vier großen Ligaländer. Da werden schnell Forderungen laut, die die Exklusivität einer WM-Vergabe mit dem Anprangern politischer Mißstände verknüpfen.

Ob der englische Fußballverband auch einen herzhaften Vorstoß unternehmen möchte, Rußland aus der Runde der G8 rauszuwerfen, darf bezweifelt werden. Auch die Idee, einem Land die WM zu geben, das nicht einmal in der Lage ist, in seiner Hauptstadt eine funktionierende S-Bahn zu unterhalten und in dem die staatlich alimentierte Kirche jahrzehntelang ihre segnende Hand über ein flächendeckendes System von Gewalt gegen Kinder in jeder erdenklichen Form unterhielt, könnte man im Nachhinein kritisch sehen. Ob man ein derartiges Turnier ein Land vergeben sollte, in dem regelmäßig Massaker verübt werden, gerne auch vor Supermärkten und in Schulen, vielleicht besser nicht. Und ist die Besetzung Nordirlands durch die Briten nicht ein bißchen wie die Besetzung Nordzyperns durch die Türkei bzw. umgekehrt bzw. dreihundert Jahre älter und also eigentlich nicht weltsportkompatibel?

Was niemand daran gehindert hat, die EM 1996 zu bejubeln. Was niemand daran hindern wird, die Olympischen Spiele in London zu bejubeln. Zurecht. Sport kann nicht die Welt retten, aber er kann trotzdem einiges bewirken, die antirassistischen Bemühungen der Fußballverbände sind von großer Bedeutung. Die internationalste Sportart der Welt wirkt am besten, wenn sie einbindet, Grenzen durchlässiger macht, den Veranstalter dazu zwingt, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Sonst könnte man sich eine WM-Qualifikation mit Ländern wie China, Iran und den anderen größeren und kleineren Überltätern sparen.

Und Katar bzw. Qatar? So viel Mut zum Risiko möchte ich gerne mal auf einem Weltklimagipfel sehen. Mut zu einer vollkommen unerwarteten Entscheidung, die Chancen schafft. Glaubt einer ernsthaft, die FIFA war einen Deut weniger korrupt, als Blatter den kleinen Umschlag öffnete, in dem Deutschland stand? Jetzt im Brustton der Selbstgerechtigkeit Mißstände anzuprangern, kommt gerade recht in einer Zeit, in der klar ist, dass die WM die nächsten dreißig Jahre nicht in Deutschland stattfinden wird. Wem die FIFA zu korrupt ist, der muss sie abschaffen, der muss fast alle internationalen Sportverbände abschaffen. Blatter macht wahrscheinlich das einzig Gute, zu dem die FIFA wirklich machen kann, er erweitert konsequent die Karte des Weltfußballs.

Was haben die üblichen Beleidigten gelästert über die WM in Japan und Südkorea. Jetzt mischt ein japanischer Zweitligaspieler die Bundesliga auf, und in Seoul versammelten sich bei der WM in Südafrika eine Million Menschen zum Public Viewing – früh um drei. Die WM in Qatar wird wieder neue Aspekte liefern, La Ola wurde 1986 in Mexiko geschaffen, die Vuvuzelas sind schon jetzt Legende. Wenn einer der Chefscheichs bereits jetzt darüber nachdenkt, eine Solar-WM zu machen, ist das kein schlechter Anfang. Und zwölf Jahre sind auch im Mittleren Osten eine lange Zeit. Man vergleiche Deutschland 1994 mit Deutschland 2006. In das Land der Pogrome und Mordanschläge hätte man zurecht niemand einladen mögen, aber die Zeiten änderten sich. Mit Polen und der Ukraine sind zwei Länder für die EM 2012 verantwortlich, deren nachbarschaftliches Verhältnis mindestens so kompliziert ist, wie das der Deutschen und Franzosen nach 1945. Auch wenn es heftig klemmt im Zeitplan (mehr als übrigens im vermeintlich minderbemittelten Südafrika), dieses gemeinsame Projekt wird es leichter machen, die schwierige Geschichte aufzuarbeiten, auch wenn Fußball keine Wunderdroge ist.

Das immer wieder vorgebrachte schlechte Beispiel der Olympischen Spiele 1936, mit der eine Diktatur unbehelligt Propaganda machen konnte, stimmt so nicht. Wer ein Großereignis ausrichtet, will heutzutage in den Weltmarkt integriert werden, Vuvuzelas kann man auch in Südafrika-Boutique im Prenzlauer Berg bekommen. Die Nazis wollten Autarkie, ökonomisch und kulturell. Auch die Medien funktionieren anders als damals. Bin gespannt, wie die Russen und Qatari mit Blogs und Tweets umgehen werden und wie sie ihre Länder modernisieren, wenn die nächste große Fete in terra incognita stattfindet.

Gruppe D – Jogis Kindergarten bittet zum Tanz

Köhler und Koch geben den Amtslöffel ab und die Partei der Deutschen Einheit verschmäht Joachim Gauck als Präisdentschaftskandidaten. Der Mohr hat längst schon seine Schuldigkeit getan. Es sind kleine Zeichen des Verfalls, aber in turbulenten Zeiten war die Auswahlmannschaft des DFB immer besonders gut. 1974 war Willy Brandt gut einen Monat vor der WM zurückgetreten, 1990 tobte gerade der Wiedervereinigungswahnsinn durch die Lande, 1954 setzte sich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, kurz nach der WM in die DDR ab. Diese junge Mannschaft hat alle Voraussetzungen, um Weltmeister der Herzen nicht nur in Deutschland zu werden. Dass es für den Titel reicht, halte ich für äußerst unwahrscheinlich.

Serbien ist sicherlich nicht mit der Mannschaft 2006 zu vergleichen, die von Argentinien so brutal vorgeführt wurde. Mannschaften aus dem ehemaligen Jugoslawien verbinden durchweg technische Qualitäten mit großer Zweikampftstärke, der Sieg gegen Bosnien hat es gezeigt.

Australien hat den Qualifikationskontinent gewechselt und sich trotzdem durchgesetzt. Es wird schwierig, gegen sie zu bestehen. Noch so eine Mannschaft ohne große Stars, das liegt nicht nur an den vielen Verletzungen. Erfahrene Trainer machen aus Freizeitfußballern ernsthafte Achtelfinalkandidaten.

Ghana stapelt tief, es kann nicht sein, dass sie so grottenschlecht spielen wie in der Vorbereitung. Sie haben ohne Essien einen tollen Afrika-Cup gespielt und sollten die Vorrunde überstehen.

Serbien – Ghana 1-2

Deutschland – Australien 2-1

Deutschland – Serbien 1-1

Ghana – Australien 1-0

Ghana – Deutschland 1-1

Australien – Serben 2-2

Gruppensieger: Ghana

Gruppenzweiter: Deutschland