Saubermann Sammer und der Sittenverfall

Dieser Sammer kann einem wirklich auf den Geist gehen mit seinem permanenten Gerede von Vorbild und Jugend und Werte blablablub. Heute schwadroniert er im kicker vom Sittenverfall und nimmt die bösen Trainer aufs Korn, die angeblich ihre Verträge nicht einhalten.

Bei Martin Jol könnte man vom Wegfall der Geschäftsgrundlage sprechen, die mithin eine alsbaldige Vertragsauflösung ermöglicht. Jol wurde geholt, um Titel zu holen. Als der HSV beste Voraussetzungen dafür hatte, entschloß sich das Management, doch lieber Geld zu verdienen und verkaufte Kompany für geschätzte 6 Mio Euro und de Jong für bestätigte 19 Millionen Euro an Manchester City. Hätte der HSV mit den beiden gegen Bremen nur zwei Gegentore kassiert? Wäre eine UEFA-Cup-Sieg 25 Millionen Euro wert gewesen? Das sind nach 5 Jahren Glück, Glanz, Ruhm 5 Millionen Euro pro Jahr also 13700 Euro pro Tag. Zu viel? Für den Briefkopf? Für den Fan? Aus dem Verkauf von van der Vaart hat Jol zu Saisonbeginn noch das Beste gemacht, aber das permanente 0-2-Aufholen in den ersten Spielen zeigte schon, dass der Mannschaft das ganz große Format fehlt. Für drei Hochzeiten war die Substanz nach der Winterpause dann endgültig zu dünn.Und Jol hat im Stillen wohl begriffen, dass der HSV den wirtschaftlichen Erfolg höher einschätzt als den sportlichen.

Hans Meyer hat wie der Pokal seine eigenen Gesetze. Wer glaubt, einen 66jährigen Kommunisten mit einem kapitalistischen Vertragswerk binden zu können, der muss zur Nachschulung in den MEW-Lektüre-Kurs. Beim Club hatte Meyer zunächst die Verabredung getroffen, dass beide Seiten die Zusammenarbeit ohne finanzielle Forderungen vom einen Tag auf den anderen beenden können. Meyer wurde Pokalsieger. Danach erhielt er einen zeitlich befristeten Vertrag, der Club stürzte ab. Meyer wurde entlassen, es folgten Streitereien vor dem Arbeitsgericht, die des Trainers Nimbus bei den fränkischen Fans zum Glück nicht schmälern konnten.

Wäre jemand wie Daum für Köln zu haben gewesen ohne Ausstiegsklausel? Wurde der Messias nicht in einer herzzerreißenden Zeremonie ohne Wenn und Aber inthronisiert? Wäre Podolski ohne Daum zurück gekommen? Hat Magath die für ihn gemachten Vorgaben nicht zu hundert Prozent erfüllt? Professioneller als Magath in den letzten zwei Jahren kann man nicht arbeiten. Wenn jetzt die Langzeittrainer Ferguson, Wenger und Schaaf als leuchtende Beispiele genannt werden, sollte man auch einmal sehen, welche unumstrittenen Kompetenzen diese Leute haben. Mir ist nicht ein Fall bekannt, bei dem das Bremer Präsidium oder sonstige fußballfernen Honoratioren des Vereins Schaaf öffentlich in die Parade gefahren wären. Glaubt denn jemand, Ferguson ließe sich vom CEO des Trikotsponsors AIG in sportlichen Frage hineinreden? Nicht einmal von Obama, obwohl AIG faktisch längst verstaatlicht ist.  Sowohl Magath als auch Daum sahen sich einem permanenten Störfeuer innerhalb ihres fachlichen Bereichs ausgesetzt. Wenn man langfristig mit einem starken Trainer zusammen arbeiten will, sollte man vielleicht einfach Ruhe geben (wie es sich in Wolfsburg angeboten hätte), oder die Mannschaft selbst trainieren, was ich Overath jederzeit zutraue. Aber der müsste natürlich erst mal seinen Trainerschein machen, weil Vorbild, Jugend, Extrawurst, Sittenverfall.

Ich bin nicht gegen die Einhaltung von Verträgen, gerade bei jungen Spielern, die von allen möglichen Seiten beeinflußt werden und bestimmte Konsequenzen in der Lebensplanung weniger gut einschätzen können als alte Säcke wie Jol etc. Dass Demba Ba nicht einfach so mal weg kann, dass Gomez noch zwei Jahre beim VfB geblieben ist, dass Diego nicht im Winter zu Juve ging und am Ende der Saison DFB-Pokal-Sieger wurde, das ist schon nicht verkehrt. Es sollte einmal ein Verein kommen, der den tief im Selbstfindungsprozeß verstrickten Spieler (…will Barca…)  so lange vor die Wahl Tribüne oder Amateure stellt, bis die vertraglich vereinbarte Leistungswilligkeit wieder her gestellt ist, dann würde diese Lotterie und Lotterei schnell zu Ende sein. Das macht man natürlich nicht, weil 35 Millionen auf dem Konto besser sind als der in der Dritten Liga zum Krüppel getretene Topscorer, aber mir hat die Zivilcourage der HSV-Oberen bei van der Vaarts erstem Abwanderungsversuch 2007 gut gefallen. Wenn sie 2008 nicht umgefallen wären, hätten sie jetzt einen Titel und Martin Jol wäre noch da.

Apropos umfallen: Saubermann Sammer hat im November 2008 Dieter Eilts geschaßt, nachdem dieser die Quali zur U21-EM erreicht hatte. Eilts‘ Vertrag wäre noch bis Juni 2009 gelaufen, bis nach der EM, um genau zu sein. Grund für die Entlassung waren „unterschiedliche Auffassungen“. Ja, holla, potztausend, das nenne ich vorbildlich.

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Fabian Ernst über seine Erfolge in der Türkei heute im kicker: „Das Double soll keine Eintagsfliege bleiben.“

Ich hoffe, David Cronenberg macht die Verfilmung.

Stille Momente perfekten Glücks

„Oh wie ist das schön, oh wie ist das schön..“ wäre deplatziert, liegt ein historisches 1-5 doch gerade erst einmal vier Tage zurück. Aber Barcas Auftritt war schon das Sahnestückchen der bisherigen Saison. Wäre da nicht der legendäre Bayerndusel, die Partie wäre wohl 8-0 ausgegangen. Und die tragischen Fälle Lell und Rensing zeigen, wie sehr alles falsch läuft bei den Bayern. Unter Hitzfeld war Lell ein hoffnungsvolles, wenn auch mäßig begabtes Eigengewächs. Trainingsfleißig wie Dieter Eilts und bescheiden wie Rudi Völler hätte er vielleicht ein solider Rechtsverteidiger werden können, so gut wie Arne Friedrich, unauffällig und unverzichtbar. Unter Klinsmann wurde durch die Verpflichtung des sympathischen Jahrhunderttalents Maximo-Otto Lells Karriere bei den Bayern auf sehr ruppige Art offiziell für beendet erklärt. Wer dem behäbigen Italiener mit seinen unsäglichen Flanken aus dem Halbfeld weichen muss, sollte lieber Tischtennis spielen oder Sportsocken verkaufen.  Lell heute ins Offensivspiel von Messi laufen zu lassen, hatte etwas von Menschenopfer. Ja, Lahm war verletzt und Lucio auch und van Buyten erhielt aus guten Gründen Dispens. Aber wo war eigentlich der für links unlängst erst verpflichtete Marcell Jansen? Auch keine Granate im Defensivbereich, aber wenigstens läuferisch hätte er Messi nahe kommen können. Und beinahe jeder, der in der Bundesliga hinten links spielt, hat taktisch mehr drauf als Lell in dieser Position. Hätte man da nicht wie die Gladbacher in der Winterpause noch jemand holen müssen? Wahrscheinlich schafft Klinsmann es nicht, sechs gleichwertige Ersatzspieler ins Team zu integrieren und bei Laune zu halten. Deshalb tauchte im Camp Nou der Name Badstuber im Bayernkader auf.

Nehmen wir an, die Bayern hätten mit dem neuen Trainer und dem neuen Konzept diese Saison als Jahr des Übergangs ausgerufen. Dann hätte der junge Rensing bei seinem Weg in die größten Fußstapfen, die die Liga 2008 zu bieten hatte, in Ruhe aufgebaut werden können, so wie Adler in Leverkusen. Aber Rensing erst wie Hoeneß zum einzig ernsthaften Anwärter auf die Nachfolge von Lehmann auszurufen, ihn wie Klinsmann immer mit der Formel „Er wird die Zeit bekommen, die er braucht“ in Sicherheit zu wiegen, und ihn dann kurz vor dem Spiel des Jahres kaltschnäuzig abzuservieren, das ist planlose  seelische Grausamkeit. Es ist dieses ewige Hüh und Hott, dieses Weltklasse sein wollen und über Nacht Nachwuchs aus dem Hut zaubern müssen, das nicht funktionieren kann. Guerrero weg. Kroos weg. Schlaudraff  weg. Podolski in tiefster Melancholie. Schweinsteiger in der Stagnation. Und der schon erwähnte Janssen blüht unter Jol in der Rückrunde auf, wird jeden Tag ein bißchen besser. So wie Aogo, Pitroipa, Guerrero. Vermutlich kommt im neuen Jahr Enke. Und Rensing wird der Kompagnon von Lell. Nachwuchsarbeit 2010.

Die Bayern haben es geschafft, in den letzten Jahren zwei der drei besten deutschen Trainer (Schaaf wäre ebenso wenig kompatibel wie Frings) zu vergraulen. Hitzfeld ist gegangen, weil ihm Kim Il McRummenigge vorgerechnet hat, dass Fußball keine Mathematik ist. Magath ist gegangen, weil er die geballte Fußballkompetenz an der Säbener Straße nur mit geballter Faust in der Tasche ertragen konnte, und weil er ein wenig von dem vielen schönen Festgeld gerne in neue Spieler investiert hätte.

Wenn es jetzt ausgerechnet dem seriösen, geduldigen Funkel und dem Chancengleichheitsverfechter Bruchhagen und der verletzungsgeplagten Eintracht gelänge, den Bayern auch noch den Zahn in der Meisterschaft zu ziehen, könnte man von einer perfekten Woche sprechen. Aber in der Allianz-Arena sind die Bayern ja eine nicht nur von den eigenen Fans gefürchtete Heimmannschaft.