1000 Freunde in der Nordkurve

Beim letzten Heimspiel von Nürnberg gegen Schalke im März 2013, am 26. Spieltag, war ich im Stadion, es gab ein sattes, wenn auch eine Spur zu deutlich ausgefallens 3-0. Heute Abend werde ich mir das Spiel als Sofakartoffel genehmigen.  Damals hatte ich kurzfristig ein Fahrrad von Berlin nach Franken zu überführen und fuhr die gesamte Strecke mit Regionalzügen. Erst nach Leipzig, wo ich das Fahrrad abstellte und mir einen Tag Buchmesse genehmigte. Am nächsten Tag ging es weiter, erst ins tief verschneite Saalfeld, von dort fuhr ein Zug direkt nach Nürnberg. Ein einsamer Clubfan stand in Saalfeld schon am Bahnsteig. Es war ein Erlebnis, wie an jeder Milchkanne ein paar Fans zustiegen, überwiegend in rot. Als der Club noch in der Zweiten Liga (Süd) spielte, machten wir uns immer zur Aufgabe, die Kenneichen der Autos zu identifizieren, die in langen Reihen vor den Reichsparteitagsruinen geparkt waren. Es galt/gilt unter Clubberern als offenes Geheimnis, dass der Club das größte regionale Einzugsgebiet aller Profivereine hat, und die Fahrt mit dem Bummelzug bestätigte dies eindrucksvoll.

Blau stieg natürlich auch regelmäßig dazu. Dass es in Coburg seit 2000 einen Schalke-Fan-Club gibt, wusste ich noch nicht. Ab Bamberg platzte der Zug aus allen Nähten., die Stimmung war ausgezeichnet: entspannt, vorfreudig, gelegentliches Warm- und Ansingen. Am Bahnhf gab es die Gelegenheit, den Schalker Mannschafsbus zu bewundern. Eine kleine Menschentraube blockierte den Bürgersteig vor dem Grand Hotel und fotografierte unablässig den königsblauen Koloß.

Auch in der letzten Saison spielte der Club übrigens elfmal Unentschieden. Nur Wolfsburg und Mainz hatten mehr. Gut, es gab auch elf Siege, ob das in der Rückrunde realistisch ist, mal sehen. Die letzten drei Heimspiele gewann der Club gegen die Freunde aus dem Pott, vielleicht gibt es heute Abend ja ein Hinrundenfinale, das hoffen macht. Und zehn Siege bei neun Heimspielen, das ist auf jeden Fall realistisch. Glück auf!

Mittlerweile ist mein neuer Krimi „Immer schön gierig bleiben“ erschienen.

Eine Buchempfehlung auf Radio 1.

Eine Rezension in Der Freitag.

Der Riesenzwerg aus Gelsenkirchen

So richtig vom Hocker hauen einen diese Schalker nicht in dieser Saison. Jetzt haben sie schon ihr drittes Spiel gegen eine Spitzenmannschaft sang- und klanglos verloren. BVB 1-3, Chelsea 0-3, Bayern 0-4, alles zuhause. Das ist schon extrem mickrig. Sie haben zwar nicht den Anspruch erhoben, gegen diese Mannschaften zu gewinnen, aber es ist nicht verboten, seine gesetzten Ziele auch mal zu übertreffen. Oder wenigstens so zu verlieren, dass man sich als sympathisierender Clubberer nicht fremdschämen muss.

Zugegeben, es gibt zu viele Verletzte. Obwohl Szalai eingeschlagen hat, fehlt der erste Sturm mit Huntelaar und Farbfan an allen Ecken und Enden. The Athlete Fashionably Known As Prince ist zwar einer der spannendsten Transfers des Sommers, muss sich aber erst zurecht finden. Ihn Mittelstürmer spielen zu lassen, ist eine Idee, die von Michael Skibbe stammen könnte. Wenn Boateng nicht laufen kann, soll er nicht spielen. Wer braucht halbfitte Spieler?  Draxler leidet an einem schweren Fall von morbus ricken. Zur Führungsperson ausgerufen, durchwachsenen Start gehabt, tendenziell dauergestresst. Wobei Ricken nach seiner Sahnesaison völlig neben sich stand und Draxler schon einige richtig gute Momente hatte. Jetzt kann man ihn natürlich nicht einfach wieder zum Supertalent downgraden. An Papadopolous erinnert sich kaun noch jemand, so lange ist er schon weg.

Trotzdem werden die Schalker die Gruppenphase der Champions League überstehen und um Platz vier mitspielen. Im Feld der Verfolger eine dicke Nummer, für die Großen Drei und die Spitze Europas im Moment zwei Nummern zu klein.

Vielleicht sollte man langfristig über einen Trainer nachdenken, der weniger wurschtig wirkt als Keller, der der Mannschaft ihre Halbherzigkeit und das schlampige Passspiel austreibt. Wie wäre es mit Morten Olsen im Verbund mit Ebbe Sand zum Beispiel? Dänemark hat die WM-Quali verpasst, Olsen wird nächstes Jahr 65 und kommt gemessen an Rehhagel, Aragones, Heynckes und Rudi Gutendorf erst in einigen Jahren ins beste Traineralter.

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Am 12. November erscheint mein neuer Roman „Immer schön gierig bleiben“. Bestellungen gerne hier:

 

Lieber Platzverweise als altersweise

Acht Platzverweise an einem Spieltag, was lernst uns das? Vielleicht haben die Schiri-Obleute ja nach Baumjohanns nicht mit Rot geahndetem Wischer bei Nürnberg gegen Hertha schnell ein Brandbrieflein an die Kollegen draußen auf dem Spielfelde geschickt, mit dem Tenor: Erst zücken, dann Fragen stellen.

Der Krösus war bei Hoffenheim gegen Freiburg Tobias Stieler mit zweimal Rot, einmal Gelb-Rot und einem Innenraumverweis für Freiburgs Trainer Streich als Sahnehäubchen. Der Platzverweis gegen Coquelin war glatt falsch, den Platzverweis von Streich hat er damit induziert. Streich schimpfte zwar emotional wie immer, ich habe aber schon Trainer gesehen, die sich schlimmer aufgeführt haben und im Innenraum bleiben durften. Außerdem war Streichs Ansprechpartner der Vierte Mann, der unter anderem dafür da ist, dass Trainer Dampf ablassen. Zusammen mit der nicht gegebenen Roten Karte gegen Sorg bekam Stieler im kicker die Note 4,5.  Auch Schiedsrichter Welz in Augsburg gegen Stuttgart bekam die Note 4,5. Anstelle des überzogenen Rot für Traoré hätte er Verhaegh vom Platz stellen müssen. Note 4 gab es für Dankert in Hannover gegen Schalke. Dessen drei Platzverweise gegen Höwedes, Huszti und Fuchs waren allesamt vertretbar, nur ein rotwürdiges Foul von Hoogland gegen Diouf hatte er übersehen.  Eine 2,5 bekam Kinhöfer bei Mainz gegen Wolfsburg, der nicht nur mit Gelb-Rot gegen Luiz Gustavo richtig lag.

Beim genauen Hinsehen ist nicht so sehr die Kartenflut das Problem, nur zwei der acht Platzverweise (Coquelin, Traoré) waren falsch, sondern die wackelige und widersprüchliche Spielführung. Stieler in Sinsheim hatte zusätzlich das Problem, dass er in der 11. Minute, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt korrekterweise Rot gegen Salihovic zeigen musste. Ab da war jeder Zweikampf aus Sicht der Zuschauer eines Platzverweises würdig.

Eine ähnliche Konstellation bot das denkwürdige WM-Achtelfinale Portugal – Holland 2006, auch als „Schlacht von Nürnberg“ bezeichnet. Von Anfang an ging es knüppelhart zur Sache, nach einem brutalen Foul musste Ronaldo ausgewechselt werden. Ende der ersten Halbzeit gab es Gelb-Rot gegen Costinha. In Halbzeit zwei folgten eine weitere Gelb-Rote und zwei Rote Karten, dazu kamen acht Gelbe Karten. Auch hier war es die unklare Linie, die das Spiel aus dem Ruder laufen ließ: Schiedsrichter Ivanov „hatte das Spiel durch falsches Strafmaß nicht im Griff“, schrieb der kicker.

Trainer in der Pressekonferenz sagen über harte Platzverweisen manchmal gerne: Wenn man das pfeift, stehen am Ende fünf Mann auf dem Platz. Nach diesem Spieltag bin ich geneigt zu sagen: Na und? Dem Spielniveau tat die Kartenflut keinen Abbruch: Hoffenheim – Freiburg bekam die Note 1, Hannover – Schalke sowie Mainz – Wolfsburg eine 2,5, Augsburg – Stuttgart immerhin eine 3. Für die beiden letzten Teams war es die beste Saisonleistung.

Bin gespannt, was bei den Roten Karten als Strafmaß rauskommt. Bei Salihovic war es die vierte Rote Karte und es war eine klare Tätlichkeit. Dass er vorher geschubst wurde, lag daran, dass er den Ball nicht herausrückte. Er hat die Rudelbildung provoziert.

In den Spielen ohne Platzverweis schnitten die Schiedsrichter so ab: Zwayer (Dortmund – Bremen) Note 2, keine Karte, kein Elfer. Stark (Braunschweig – Frankfurt) Note 2, drei Gelbe Karten, kein Elfer. Fritz (Hertha – HSV) Note 3, fünf Gelbe Karten, kein Elfer. Brych (Leverkusen – Gladbach) Note 5, falscher Elfmeter gegen Gladbach, eine Gelbe Karte. Nach den beiden in München bereits der dritte Elfer im dritten Spiel, über den sich streiten läßt. Die Note 6 bekam Schiedsrichter Dingert im Spiel Bayern gegen Nürnberg, der Pinolas Rempler gegen Mandzukic nicht als Elfmeter pfiff, dafür vor dem Elfmeter für Bayern ein Handspiel von Nilsson gesehen haben wollte, wo keines war. Auch ein rotwürdiges Foul von Mandzukic an Dabanli hatte er übersehen. Wenigstens die Gelbe Karte für Ribery fürs Trikot ausziehen war korrekt.

Fazit: Viele Platzverweise machen weder die Schiedsrichterleistung noch ein Spiel per se schlechter. Die Referees sollten mit der Mindestzahl von sieben Spielern pro Team noch offensiver umgehen. Fehlentscheidungen wie der Platzverweis gegen Coquelin werden dadurch nicht besser, aber die Schubser, Treter, Schläger und Rudelbildner bekommen dadurch längere Denkpausen.