Keine Zeit für nichts

Im Moment bin ich so beschäftigt mit anderen wichtigen Dingen wie dem Erwerb eines Angelscheins zum Beispiel, dass ich nicht einmal dazu komme, in Ruhe Hanuta zu essen. Trotzdem einige Beobachtungen:

1.) Die Stimmung im Land ist nicht mehr enthusiasmiert-ekstatisch wie 2008 oder 2010, sondern solidarisch-abwartend. Diesmal, klare Ansage, soll es der Titel sein, da helfen funkelnde Hochkaräterspiele wie gegen England und Argentinien auch nichts.Über allem schwebt die Sorge: Reicht es diesmal gegen Spanien?

2.) Die Mannschaft arbeitet ihr Pflichtenheft – kreativ instinktiv produktiv – solide ab. Die gegen Portugal indisponierten Schweinsteiger und Özil waren gegen Holland schon deutlich verbessert, die Abwehr strahlt unwirkliche Abgeklärtheit aus, alles summt vor höchster Anspannung. Und dieser Gomez, was soll ich sagen? Der Kopfball gegen Portugal war ein typisches Klose-Tor, das 1-0 gegen Holland ein Messi-Tor und das 2-0 ein Rooney-Tor. Cover-Boy Mario verblüfft mit gelungenen Coverversionen.

3.) Frankreich gegen England war so aufregend wie Duisburg gegen Ingolstadt. Die Franzosen verarbeiten immer noch den Weggang von Zidane und langsam kann man bezweifeln, dass England je das Mutterland des Fußballs war, muss wohl irgendein brasilianisch-italienisch-deutsches Wechselbalg gewesen sein.

4.) Italien stark, Russland stark, Dänemark stark. Bisher nur ein Sieg mit mehr als zwei Toren Unterschied, und Schland kann trotz zweier Siege noch aus dem Turnier gekegelt werden. So spannend war’s noch nie.

5.) Spanien hätte gegen Italien 3-1 gewonnen, wenn Torres nicht drei hundertprozentige Chancen versaubeutelt hätte. Spanien hat keinen Stürmer, und Puyol, Torschütze im Halbfinale, ist auch nicht dabei. Das könnte irgendwann Probleme geben. Dabei natürlich sofort die Frage: Haben die Italiener den Platzwart bestochen, damit er den Rasen stumpf macht?

6.) Kroatien ist für mich Geheimfavorit Nummer Eins. Durch das Unentschieden von Spanien und Italien stehen Chancen nicht schlecht, dass einer der beiden nach Hause fährt. Ich glaube nicht, dass Kroatien gegen beide verliert, eher gegen beide gewinnt.

7.) Noch ist Polen nicht verloren, aber die verschenkten zwei Punkte gegen Griechenland tun weh. Und im Viertelfinale gäbe es dann vermutlich Schland. Schwierig, schwierig.

8.) Wenn der Leistungssprung von Hummels auf internationalem Niveau Maßstab ist für Dortmunds Entwicklung insgesamt, können wir uns auf eine tolle CL-Saison gefasst machen.

9.) In Gruppe D ist die Ukraine gut dabei. Es könnte zum Gruppensieg reichen. Der alte Mann Shevchenko auf seiner letzten großen Fahrt.

10.) Russische Hooligans sind natürlich pfui, aber an diese Matrosenmützchen könnte ich mich gewöhnen. War Nürnberg früher nicht mal in der Hanse?

11.) Schönstes Turnier-Logo aller Zeiten. Gratulation an die Gastgeber.

Wertvolle Erkenntnisse

Weil die deutsche Fußballpublizistik seit Jahren an einem erblichen Defekt leidet (sogenanntes Bayern-Gen), waren sich nach dem 3-5 gegen die Schweiz am Samstag landauf, landauf so gut wie alle einig, dass die Gewinner dieses Vorbereitungsspiels die nicht anwesenden Bayernspieler gewesen seien. Klar ist ein Jerome Boateng in der Blüte seiner Jahre deutlich besser als ein Mertesacker nach einer mehrmonatigen Verletzungspause, Drogba darf ja nicht mitmachen. Und Philipp Lahm ist – Lederhose hin, treuherziges Bübchengesicht her – ein Weltklassespieler, bei dem es meistens Spaß macht, zuzusehen. Seine Vorbereitung zum 2-1 im Hinspiel gegen Madrid, ein echtes Leckerli. Marcel Schmelzer hingegen hat in Basel gezeigt, dass er beabsichtigt, seine Champions-League-Form notfalls bis nach Donezk mitzunehmen, dito Götze, nur Hummels fremdelt und spielt Fußball.

Der Bayernblock garantierte bisher bei zwei Weltmeisterschaften dritte Plätze mit einem Ausscheiden gegen den späteren Titelträger, bei der letzten EM kam man sogar bis ins Endspiel gegen den späteren Titelträger. Wenn Lahm im Finale 2008 auf dem Platz gestanden hätte, dann wäre Fernando Torres übrigens niemals so zielsicher an jenem Abwehrtölpel vorbeigezogen, diesem…wer war’s doch gleich, ach egal. Insofern ist das muntere Spielchen bei den Eidgenossen nur eine Momentaufnahme. Zu einem 3-3 hätte es mit bajuwarischer Verstärkung locker gereicht.

Abgesehen davon ist es mir immer ganz recht, wenn eine Vorbereitung nicht vollkommen perfekt verläuft. Ein bißchen Improvisieren, ein paar Rückschläge, etwas Unerwartetes können ganz beflügelnd wirken. Ob die Bayern ihre Koan-Titel-Saison tatsächlich alle weggesteckt haben, wer weiß? Bei Lahm, Müller und Neuer denke ich ja, bei Badstuber und Schweinsteiger bin ich mir nicht so sicher. Der eine war schon wegen seiner Gelben Karte gegen Madrid völlig neben sich, und für den anderen ist gegen Chelsea tatsächlich die Welt zusammengebrochen. Eine Startelf gegen Portugal ohne Schweinsteiger? Oder spielt er nur in der Vorrunde? Um im Viertelfinale gegen Tschechien nicht wieder auf Cech zu treffen? Oder erst ab dem Halbfinale? Der Teamchef lächelt, die Wade zwickt, der Rasen schweigt, die Maus kreißt und gebiert einen Berg von offenen Fragen. So ist das in der Vorbereitung.

Zu viele Cumshots, zu wenig Panini-Alben

Im kicker wirbt heute Wayne Rooney für Nikefootball. “ICH WERDE DAS TOR NICHT NUR TREFFEN. ICH WERDE ES ZERSTÖREN.” Die Kampagne läuft unter Joga Bonito, was soviel heißt wie “schönes Spiel” oder “schön gespielt”. Offenbar wurde Rooney hier gegen den Typ besetzt, sein Tritt ins Gemächt seines Teamkollegen Cristiano Ronaldo von Manchester United war der traurige Schlußpunkt im desolaten Auftritt des englischen Teams bei der WM. Zwei andere Jungscher (Torres? und ??) sind auch dabei in den drei (!) ganzseitigen Anzeigen, die am Schluß des Hefts zu finden sind und auf dem Kopf (!) stehen, so daß Rooney wie ein zweites Titelbild daherkommt. Wollte man den Fußball wieder vom Kopf auf die Füße stellen, darf man gerne auf diese hypermartialische Werbung für Sportgerät aller Art verzichten. Vor der WM gab es kleine Broschüren für Schuhe, die man sich individuell zusammenbauen konnte, und die Spieler (u.a. Kuranyi) sahen aus wie kleine Terminatoren oder auf Neusprech wie “Soldier as as a System”, Fußballspieler als eigenständige kleine Waffensysteme. Mit Joga Bonito hat das soviel zu tun wie Abu Ghoreib mit Demokratie.

Nicht minder nervig ist der Versuch, das Tor zu superlativieren. Verbal wird jeder halbwegs gerade Gewaltschuß mit “Weltklasse” geadelt, optisch sind es die Trailer sämtlicher Fußballsendungen, die in Superzeitlupe und digital überzeichnet Tore wahllos zusammenschneiden. Weil man mit Stellungsspiel keine Trailer drehen kann, wird vorsorglich der niedrige Torschnitt bei der WM bemängelt. 1974 gewann Jugoslawien gegen Zaire 9:0. Die WM-Finals 1994 und 2006 endeten torlos. Was sagt uns das über die Qualität der Spiele? Unter den Bedingungen der permanenten Visualisierung ist das Tor beim Fußball das, was der Cumshot (die Ejakulation) im Porno ist: ein äußerst knappes Gut, das permanent gezeigt werden muß. Schnell, langsam, von vorne, von hinten, im Reverse Angel usw. Die passende Werbung dazu läßt ihren Helden sagen: “ICH WERDE REKORDE BRECHEN UND NETZE ZERREIßEN.” Ein Schelm, wer hier an Defloration denkt.

Genug davon, die neuen Saisons in den verschiedenen Ligen werden ganz toll und spannend wie nie. Union Berlin und Dynamo Dresden haben ihre ersten Spiele bereits gewonnen, die Bundesliga summt vorfreudig und leicht nervös dem Freitag entgegen. Es wird viele Überraschungen geben. Unterstellen wir, dass mindestens zwei der drei Aufsteiger (Bochum und Cottbus) nicht absteigen, bleibt die bange Frage, wen es dann erwischt. Hertha, möchte man meinen. Rigider Sparkurs, Marcelinho weg und jede Menge junge Hupfer. Aber Hertha wird es schaffen und für seine Jugendarbeit belohnt werden. Außerdem haben sie mit Pantelic einen richtigen Knipser. Das weiß nur noch keiner. Stuttgart wäre mir wesentlich sympathischer als Absteiger, mit Dieter Hundt und 34 Unentschieden ein ganz heißer Kandidat. Dann ist da noch Gladbach. Ich war sehr ungehalten über die Entlassung von Horst Köppel, jetzt ist Don Jupp tatsächlich zurückgekehrt. Ob es hilft? Gladbach ist mentalmäßig so weit wie Hertha vor der großen Krise. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist stets genug Platz für eine völlig mißratene Saison und Platz 16. Auch Frankfurt ist mit in der Verlosung. Extremes Verletzungspech, das mit diesem Kader nicht kompensiert werden kann, Doppelbelastung durch den UEFA-Cup und ein mediales Umfeld, das noch launischer ist als die Mannschaft selbst. Aachen wird es leider erwischen, eine Mannschaft, die fast ausschließlich von ihrer Leidenschaft lebt und ohne ihre zwei leidenschaftlichsten Spieler Landgraf und Meijer das Abenteuer Bundesliga angeht, hat ganz schlechte Karten. Vorschlag: In der Winterpause werden beide reaktiviert.

Eigentlich ist es verwunderlich, dass Panini diese Marktlücke noch nicht entdeckt hat. Ich wünsche mir ein Sammelalbum für gedopte Spieler, sortiert nach dem Präparat. Floyd Landis tut es mit Testosteron, Jan Ullrich tut es mit Eigenurin…nö..blut, Mario Basler tut es mit Hefeweißbier. Würde man Doping freigeben, ergäben sich gerade für die chronisch unterfinanzierte Leichtathletik zahlreiche interessante Sponsoren. Darüber sollte man mal ergebnisoffen diskutieren.

Ein Kommentar zu “Zu viele Cumshots, zu wenig Panini-Alben” (1)

Ulrich Eumann
11.08.2006

Oh, oh, dieser Blog braucht anscheinend dringend einen Blogtor (oder Blektor?): einen Blog-Lektor.
“Joga Bonito” heißt “spiel(t) schön”. Rooney hat nicht das Gemächt (was ist ein Gemächst?) von Ronaldo getroffen, obwohl dies das Verhalten Ronaldos gut erklärt hätte (ich würde aber nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Rooney das im Training bei ManU demnächst nicht ‘zufällig’ passiert), sondern das von Ricardo Carvalho vom Chelsea FC – auch da bestünden also diverse Rache-Optionen in den Liga- und diversen Pokalspielen.

Ulizinho,
http://www.worldleagues.blog.de