Könige des Unentschiedens

Platz 15 für Nürnberg sieht auf den ersten Blick ziemlich mickrig aus, aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Es gibt zwei mißratene Partien in dieser Saison. Die eine ist das 0-1 zu Hause gegen das sperrige Augsburg. Die anderen Partien in der Liga gehen in Ordnung. Gegen Braunschweig wurde ein Vorsprung verspielt, gegen die starke Hertha unterlief das gleiche Mißgeschick, man holte aber auch nervenstark ein Tor Rückstand gegen die Berliner auf. Dieses Kunststück gelang auch gegen Dortmund, das 1-1 war der bisher einzige Punktverlust des BVB und entspricht dem Ergebnis der Vorsaison. Gegen Hoffenheim und Bremen holte die Mannschaft sogar jeweils ein 0-2 auf. Für ein Team, das mit Klose und Simons zwei wichtige Spieler verlor und einen komplett neuen ersten Sturm hat, ein ordentlicher Auftakt.

Trotz der durchwachsenen Ergebnisse sind viele der neuen  Spieler echte Verstärkungen. Gegen Dortmund standen mit Pogatetz, Hasebe, Stark, Hlousek und Ginczek fünf Neue in der Startelf. So viele Personalwechsel gegen die zweitbeste Mannschaft Europas können auch schon einmal dazu führen, dass man völlig untergeht, aber Nürnberg war kämpferisch und spielerisch ebenbürtig. In seiner Pokalsiegsaison 2007/07  hatte der Club auch fünf Unentschieden nach sieben Spieltagen, darunter jeweils ein 1-1 gegen Cottbus, Mainz und Bielefeld. Der wesentliche Unterschied zu heute waren die beiden Auftaktsiege gegen den späteren Meister Stuttgart und Gladbach und der erfolgreiche Beginn im Pokal, der bis zum Titel in Berlin führte.

Die andere völlig mißratene Partie war deshalb auch das Pokal-Aus gegen Sandhausen. Gegen einen der gefährlichsten Pokalschrecks aller Zeiten kann man verlieren, aber nicht nach einer 1-0 Führung. Das Wegschenken eines Vorsprungs hat den Club bisher vier Punkte in der Liga gekostet, zwei gegen Hertha und zwei gegen Braunschweig. Schon mit acht Punkten statt fünf  wäre man in dieser engen Liga und den beiden dicksten Brocken (Bayern, BVB) im Auftaktdrittel vollkommen im Soll. 2006/07 brauchte Nürnberg in der Hinrunde elf Unentschieden, bis sie sich für ihre großartige Rückrunde mit dem 3-0 gegen Bayern und 25 Punkten gefunden hatten.

Hier entsteht gerade eine Mannschaft, die das Potenzial hat, so gut zu werden wie die Pokalhelden. Ich hoffe sehr, dass Wiesingers Team gegen den HSV sein Potenzial endlich einmal über 90 Minuten abruft und dieser Coach in Ruhe weiterarbeiten kann.

PS: Die Schreibpause von mehr als einem Monat hat einen guten Grund. Bis letzten Dienstag habe ich an meinem neuen Roman geschrieben. „Immer schön gierig bleiben“ erscheint am 12. November 2013 im Rotbuch Verlag. Am besten gleich vorbestellen bei der Krimibuchhandlung Hammett.

Lieber Platzverweise als altersweise

Acht Platzverweise an einem Spieltag, was lernst uns das? Vielleicht haben die Schiri-Obleute ja nach Baumjohanns nicht mit Rot geahndetem Wischer bei Nürnberg gegen Hertha schnell ein Brandbrieflein an die Kollegen draußen auf dem Spielfelde geschickt, mit dem Tenor: Erst zücken, dann Fragen stellen.

Der Krösus war bei Hoffenheim gegen Freiburg Tobias Stieler mit zweimal Rot, einmal Gelb-Rot und einem Innenraumverweis für Freiburgs Trainer Streich als Sahnehäubchen. Der Platzverweis gegen Coquelin war glatt falsch, den Platzverweis von Streich hat er damit induziert. Streich schimpfte zwar emotional wie immer, ich habe aber schon Trainer gesehen, die sich schlimmer aufgeführt haben und im Innenraum bleiben durften. Außerdem war Streichs Ansprechpartner der Vierte Mann, der unter anderem dafür da ist, dass Trainer Dampf ablassen. Zusammen mit der nicht gegebenen Roten Karte gegen Sorg bekam Stieler im kicker die Note 4,5.  Auch Schiedsrichter Welz in Augsburg gegen Stuttgart bekam die Note 4,5. Anstelle des überzogenen Rot für Traoré hätte er Verhaegh vom Platz stellen müssen. Note 4 gab es für Dankert in Hannover gegen Schalke. Dessen drei Platzverweise gegen Höwedes, Huszti und Fuchs waren allesamt vertretbar, nur ein rotwürdiges Foul von Hoogland gegen Diouf hatte er übersehen.  Eine 2,5 bekam Kinhöfer bei Mainz gegen Wolfsburg, der nicht nur mit Gelb-Rot gegen Luiz Gustavo richtig lag.

Beim genauen Hinsehen ist nicht so sehr die Kartenflut das Problem, nur zwei der acht Platzverweise (Coquelin, Traoré) waren falsch, sondern die wackelige und widersprüchliche Spielführung. Stieler in Sinsheim hatte zusätzlich das Problem, dass er in der 11. Minute, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt korrekterweise Rot gegen Salihovic zeigen musste. Ab da war jeder Zweikampf aus Sicht der Zuschauer eines Platzverweises würdig.

Eine ähnliche Konstellation bot das denkwürdige WM-Achtelfinale Portugal – Holland 2006, auch als „Schlacht von Nürnberg“ bezeichnet. Von Anfang an ging es knüppelhart zur Sache, nach einem brutalen Foul musste Ronaldo ausgewechselt werden. Ende der ersten Halbzeit gab es Gelb-Rot gegen Costinha. In Halbzeit zwei folgten eine weitere Gelb-Rote und zwei Rote Karten, dazu kamen acht Gelbe Karten. Auch hier war es die unklare Linie, die das Spiel aus dem Ruder laufen ließ: Schiedsrichter Ivanov „hatte das Spiel durch falsches Strafmaß nicht im Griff“, schrieb der kicker.

Trainer in der Pressekonferenz sagen über harte Platzverweisen manchmal gerne: Wenn man das pfeift, stehen am Ende fünf Mann auf dem Platz. Nach diesem Spieltag bin ich geneigt zu sagen: Na und? Dem Spielniveau tat die Kartenflut keinen Abbruch: Hoffenheim – Freiburg bekam die Note 1, Hannover – Schalke sowie Mainz – Wolfsburg eine 2,5, Augsburg – Stuttgart immerhin eine 3. Für die beiden letzten Teams war es die beste Saisonleistung.

Bin gespannt, was bei den Roten Karten als Strafmaß rauskommt. Bei Salihovic war es die vierte Rote Karte und es war eine klare Tätlichkeit. Dass er vorher geschubst wurde, lag daran, dass er den Ball nicht herausrückte. Er hat die Rudelbildung provoziert.

In den Spielen ohne Platzverweis schnitten die Schiedsrichter so ab: Zwayer (Dortmund – Bremen) Note 2, keine Karte, kein Elfer. Stark (Braunschweig – Frankfurt) Note 2, drei Gelbe Karten, kein Elfer. Fritz (Hertha – HSV) Note 3, fünf Gelbe Karten, kein Elfer. Brych (Leverkusen – Gladbach) Note 5, falscher Elfmeter gegen Gladbach, eine Gelbe Karte. Nach den beiden in München bereits der dritte Elfer im dritten Spiel, über den sich streiten läßt. Die Note 6 bekam Schiedsrichter Dingert im Spiel Bayern gegen Nürnberg, der Pinolas Rempler gegen Mandzukic nicht als Elfmeter pfiff, dafür vor dem Elfmeter für Bayern ein Handspiel von Nilsson gesehen haben wollte, wo keines war. Auch ein rotwürdiges Foul von Mandzukic an Dabanli hatte er übersehen. Wenigstens die Gelbe Karte für Ribery fürs Trikot ausziehen war korrekt.

Fazit: Viele Platzverweise machen weder die Schiedsrichterleistung noch ein Spiel per se schlechter. Die Referees sollten mit der Mindestzahl von sieben Spielern pro Team noch offensiver umgehen. Fehlentscheidungen wie der Platzverweis gegen Coquelin werden dadurch nicht besser, aber die Schubser, Treter, Schläger und Rudelbildner bekommen dadurch längere Denkpausen.

 

Gerechtigkeit für Ronny…

…und alle anderen Profis aus Südamerika.

Am Sonntag beim Spiel gegen Nürnberg, da war sie auf Sky wieder zu hören, die ultimative Phrase gegen alle Südamerikaner: Der Spieler Ronny von Hertha kam angeblich mit Übergewicht aus dem Urlaub zurück, „weil er zu viel Party gemacht hatte“. Erstens machen im deutschen Sportjournalismus grundsätzlich nur Südamerikaner Party. Polnische, tschechische, niederländische Profis können alle nicht tanzen, wohingegen der Brasilianer als solcher, kaum dass er die Gangway verlassen hat, drei Wochen lang pausenlos abhottet und dazu ebenso pausenlos futtert. Denn wer Party macht, verbrennt eigentlich Kalorien. Schon gewußt?

Ich denke, Ronny ereilt das Schicksal, das wir alle aus der Weihnachtszeit kennen. Jetzt ist er endlich da, der Bub, aus dem fernen Europa. Und alle wollen ihn sehen. Die sieben Tanten und fünf Onkels laden den Gast zum Essen ein, und wehe, er kommt nicht. Wenn er hilfesuchend mit seinem Trainingsplan wedelt, dann blitzen die Augen der Mutter und sie sagt: Tante Amelia hat dir deinen ersten Ball geschenkt, du kannst ihre Einladung unmöglich ablehnen, du undankbarer kleiner Vollprofi du. Kaum in der großen Welt, schon vergisst er die Familie. Und wenn du zu Tante Amelia gehst, dann langst du auch ordentlich zu, hast du mich verstanden. Du machst Leistungssport, du musst viel essen.

Dann finden Geburtstagsfeiern statt, die einen feiern nach, damit der Gast aus Europa dabei sein kann, die andern feiern vor. Überall üppige Kuchen und Desserts. Wenn er gerade mal nicht essen muss und glaubt, einen Dauerlauf machen zu können, muss er im Garten helfen, Möbel schleppen, Lebensmittel einkaufen. Außerdem neugeborene Babys bewundern, auf den Friedhof gehen. Keine Sekunde Zeit bleibt für irgendwelche Trainingspläne. Wenn er im Flieger zurück nach Deutschland Platz nimmt, passt er kaum noch zwischen die Armlehnen. Er weiß, der Trainer wird das nicht gut finden, die Jounralisten haben ihre Pfeile schon im Köcher. Aber was ist schlechte Presse, was ist die Ersatzbank schon im Vergleich zu den heißen Tränen seiner Mutter, zum gebrochenen Herz von Tante Amelia?

Also: Respekt für kleines dickes Ailton und seine Nachfolger. Die Familie geht ihnen über alles.