Blau und weiss, wie lieb ich dich

Die feinen Unterschiede: Vom Lied der Deutschen darf man nur die dritte Strophe singen, vom Schalker Lied darf man alles singen, nur nicht die dritte Strophe. Oder etwa doch? Natürlich gibt es die üblichen Verdächtigen, die ihr Sortiment an antimuslimischen Witzeleien und Hetzereien unter die Leute bringen. Dass ein nahezu vollkommen sinnfreier Vierzeiler wieder einmal Anlaß bietet, den Untergang des Abendlandes durchs Dorf zu treiben, zeigt, wie nervös und nervig die ganze Debatte ist. Gibt es zwischen dem beflissen multikulturellen „Das ändern wir natürlich!“ und dem westlichen Überlegenheitspathos verpflichteten  „Das ändern wir natürlich nicht!“ noch etwas anderes?

Von der Idee, historische Texte auf ihre aktuelle politische Unanstößigkeit zu überprüfen, halte ich nichts: Lessings Nathan ohne den Satz „Tut nichts, der Jude wird verbrannt“ aufzuführen, nähme dem Stück seinen Sinn, auch wenn der Satz nach Auschwitz eine völlig andere Bedeutung hat als zum Zeitpunkt, als er geschrieben wurde. Dass der Tempelherr der verstockte Fiesling ist, der mit dieser Aussage die Idee der Menschheitsbrüderschaft ablehnt, macht den Satz nicht einfacher. Auch Karl May, damit die deutsche Popkultur zu ihrem Recht kommt,  könnte größtenteils eingestampft werden, wollte man seine Aussagen über Muslime und Indianer am Verständnis des Jahres 2009 messen. David Wark Griffiths The Birth of a Nation, um die Wiege der westlichen Wertegemeinschaft nicht zu vergessen, verherrlicht den Ku-Klux-Klan und ist zugleich ein Meilenstein der Filmkunst.

Das Problem mit Strophe Drei ist wohl die Aufführungspraxis. Böse Menschen haben durchaus ihre Lieder und wenn 60000 Kehlen unreflektiert über Mohammed dahergrölen hat das eine andere Wertigkeit als das geschriebene oder im Theater rezitierte falsche Wort. Dass gedankeloses Grölen vor Fußballspielen lediglich sozialadäquates Verhalten darstellt, darf mit gutem Recht bezweifelt werden, solange Muslime diskriminiert, verprügelt und manchmal auch ermordet werden. Dass die inbrünstige Gedankenlosigkeit eines vollen Stadions und seiner Hymne mehr sein kann als harmlose Folklore, darf zugunsten der Kritiker unterstellt werden, solange andere kollektive Praxis gegen Muslime weder harmlos noch folkloristisch ist. Und manch ein Verfechter des frei gesungen Worts kommt nicht damit zurecht, wenn Muslime sich als politische Subjekte in der Öffentlichkeit äußern.

Bis auf einige Hardliner, deren wüstes Geschwätz in irgendwelchen Internetforen kaum Aussagekraft besitzt, weil diese Kommunikationsform anonyme Maulhelden magisch anzieht, geht es den Kritikern nicht darum, Strophe Drei zu verbieten, sondern ein Verständnis für mögliche Kränkungen zu schaffen. Ist ein gewisses Maß an Taktgefühl schon das Ende der Freiheit? Existiert die Bundesrepublik nur in den Schmerzgrenzen von 2009? Wenn du hier leben willst, mußt du das aushalten. Was für ein schäbiger Gesellschaftsvertrag das wäre, wäre dies die einzige Klausel.

Eine andere Antwort geben Monty Python, deren künstlerische Arbeit nicht an einem Zuviel an politischer Korrektheit gelitten hat: Ihren Song „Never be rude to an Arab“ haben sie insofern beherzigt, als sie sich lieber komische Situationen ausdachten und den britischen Durchschnitt verspotteten, als  Jagd auf Minderheiten zu machen.

Und was passiert jetzt im Frankenstadion am Samstag um 15.20, wenn Clubfans und Schalker gemeinsam das Schalker Lied anstimmen? Werden sie die dritte Strophe summen? Werden sie singen „Abraham war ein Prolet…“, weil sich darüber ganz bestimmt niemand aufregt? Oder werden sie Lessings Grundidee aufgreifen und singen: „Gott ist groß und ein Ästhet…“ Und das alles auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände.