Die Totgesagten schlagen zurück

Der HSV 2-0, Wolfsburg 4-1, Leverkusen 2-0. Drei Mannschaften, von denen viel zu selten Gutes zu sehen war im ersten Drittel der Saison, haben sich am Wochenende eindrucksvoll zurückgemeldet. Und Guerrero, Benaglio und Ballack geben den Siegern ein Gesicht. Alle drei galten vor der Saion als Problemfälle beziehungsweise Wackelkandidaten, alle drei haben ihre Bestform wieder gefunden. Das wird ein großes Gedrängel geben. Jede dieser Mannschaten hat das Zeug zu einem Durchmarsch in der Rückrunde, wie Stuttgart ihn schon ein paar Mal geschafft hat. Sogar der HSV ist nur acht Punkte von einem Platz im europäischen Wettbewerb entfernt.

Es fragt sich, wer eigentlich gegen den Abstieg spielt, außer Nürnberg natürlich. Nürnberg hat sich mit dem 0-4 auf Schalke eindrucksvoll in seiner Königsdiziplin zurückgemeldet und gleich einmal den heiß begehrten Relegationsplatz gesichert. Ob da schon auf die Frankenderbys zwei und drei gegen Fürth neben dem Pokalspiel im Dezember spekuliert wird? Ansonsten werden sich ganz am Ende Kaiserslautern, Augsburg, Mainz, Freiburg und noch ein oder zwei Mannschaften tummeln, mit denen jetzt noch keiner rechnet. Vielleicht geht Hertha doch irgendwann die Luft aus. Leider kann Eintracht Frankfurt nicht jedes Jahr aus der Bundesliga absteigen. Nürnberg hat mit dem Restprogramm Kaiserslautern, HSV, Hoffenheim, Leverkusen noch drei direkte Konkurrenten vor der Winterpause, noch steht der HSV nicht auf Platz sechs. Wenn es an Weihnachten 18 Punkte wären, könnte sich keiner beklagen. Die Hinrunde erfüllt bisher meine Erwartungen. Dafür, dass er vier wichtige Spieler verloren hat und zahlreiche Verletzungen zu beklagen hatte, schlägt sich der Club erstaunlich gut. Auch beim 4-0 auf Schalke fiel die Mannschaft nicht auseinander, sondern war lediglich zu brav. Der kicker hat bei den Transfers Tomas Pekhart übrigens als Mitläufer eingestuft. Das ist mir völlig unverständlich, sagt die Redaktion doch ausdrücklich, es komme auf den relativen Wert eines Spielers für einen Verein an. Für den Club ist Pekhart ein Volltreffer.

Die Bayern schrauben ihre Bilanz gegen Mannschaften auf Platz 2 bis 9 auf 3 Niederlagen 2 Unentschieden und 2 Siege. Wie Mainz in der vergangenen Saison war die Gastmannschaft aus Lüdenscheid taktisch überlegen. Eigengewächs Hummels war bester Spieler bei gelb-schwarz, Königstransfer Boateng machte den entscheidenden Fehler. Bremen und Stuttgart kommen noch. Beiden traue ich wenigstens ein Unentschieden zu. Wenigstens hat die zweitbeste Mannschaft Europas im unteren Tabellendrittel mal so richtig gezeigt, wo der Hammer hängt. Dieser Flirt mit Reus kann eigentlich nur heißen, dass Robbens Zeit in München bereits angefangen hat, zu Ende zu gehen. Oder wird sich der Timo ein Jahr lang auf der Bank wiederfinden, was er dann den Rest seiner jäh unterbrochenen Laufbahn als „unglaublich wichtige Erfahrung“ verkaufen kann?

Auch der HSV ist jetzt ein Depp

Letztes Jahr war es noch eine Papierkugel, dieses Jahr gab es keine Ausreden mehr. Irgendwie freut mich das für Labbadia. Es war alles so einfach: Erreicht die Mannschaft nicht mehr – Tischtuch zerschnitten – Entlassung alternativlos, und dann bitteschön, hopphopp, Finaleinzug. Gestern gaben die Spieler trotz optimaler und einfühlsamer Ansprache durch den fußballbesessenen Moniz ihre gute Ausgangssituation binnen fünf Minuten aus der Hand.

Schade, dass der Sky-Moderator seinen Experten Stefan Effenberg nicht fragte, wie das so ist, gegen ein englisches Team plötzlich alles zu verlieren. Fulham brauchte immerhin doppelt so lange wie Manchester, und wieder einmal zeigte sich, dass es nicht immer sinnvoll ist, auf Defensive zu setzen, um einen Vorsprung nach Hause zu bringen. Wenn Guerrero beim Stand von 1-0 gekommen wäre, wie wäre es dann wohl weitergegangen? Der HSV spielte seine beiden Konterchancen vor dem 1-1 fahrig und fahrlässig zu Ende, das machte den Unterschied zu den Bayern vom Dienstag, die das 2-0 genauso wichtig nahmen wie das 1-0.

Was passiert jetzt mit den mehrfach Gescheiterten? Will Löw sich diesen HSV wirklich antun? Wird Hoffmann weggeputscht? Was sagen Seeler und Barbarez? Und wie will man sich der runerneuerten, bärenstarken Konkurrenz vom Millerntor erwehren? Der Bundesliga-Dino hat sich bis auf die Knochen blamiert. Schade, schade.

Stille Momente perfekten Glücks

„Oh wie ist das schön, oh wie ist das schön..“ wäre deplatziert, liegt ein historisches 1-5 doch gerade erst einmal vier Tage zurück. Aber Barcas Auftritt war schon das Sahnestückchen der bisherigen Saison. Wäre da nicht der legendäre Bayerndusel, die Partie wäre wohl 8-0 ausgegangen. Und die tragischen Fälle Lell und Rensing zeigen, wie sehr alles falsch läuft bei den Bayern. Unter Hitzfeld war Lell ein hoffnungsvolles, wenn auch mäßig begabtes Eigengewächs. Trainingsfleißig wie Dieter Eilts und bescheiden wie Rudi Völler hätte er vielleicht ein solider Rechtsverteidiger werden können, so gut wie Arne Friedrich, unauffällig und unverzichtbar. Unter Klinsmann wurde durch die Verpflichtung des sympathischen Jahrhunderttalents Maximo-Otto Lells Karriere bei den Bayern auf sehr ruppige Art offiziell für beendet erklärt. Wer dem behäbigen Italiener mit seinen unsäglichen Flanken aus dem Halbfeld weichen muss, sollte lieber Tischtennis spielen oder Sportsocken verkaufen.  Lell heute ins Offensivspiel von Messi laufen zu lassen, hatte etwas von Menschenopfer. Ja, Lahm war verletzt und Lucio auch und van Buyten erhielt aus guten Gründen Dispens. Aber wo war eigentlich der für links unlängst erst verpflichtete Marcell Jansen? Auch keine Granate im Defensivbereich, aber wenigstens läuferisch hätte er Messi nahe kommen können. Und beinahe jeder, der in der Bundesliga hinten links spielt, hat taktisch mehr drauf als Lell in dieser Position. Hätte man da nicht wie die Gladbacher in der Winterpause noch jemand holen müssen? Wahrscheinlich schafft Klinsmann es nicht, sechs gleichwertige Ersatzspieler ins Team zu integrieren und bei Laune zu halten. Deshalb tauchte im Camp Nou der Name Badstuber im Bayernkader auf.

Nehmen wir an, die Bayern hätten mit dem neuen Trainer und dem neuen Konzept diese Saison als Jahr des Übergangs ausgerufen. Dann hätte der junge Rensing bei seinem Weg in die größten Fußstapfen, die die Liga 2008 zu bieten hatte, in Ruhe aufgebaut werden können, so wie Adler in Leverkusen. Aber Rensing erst wie Hoeneß zum einzig ernsthaften Anwärter auf die Nachfolge von Lehmann auszurufen, ihn wie Klinsmann immer mit der Formel „Er wird die Zeit bekommen, die er braucht“ in Sicherheit zu wiegen, und ihn dann kurz vor dem Spiel des Jahres kaltschnäuzig abzuservieren, das ist planlose  seelische Grausamkeit. Es ist dieses ewige Hüh und Hott, dieses Weltklasse sein wollen und über Nacht Nachwuchs aus dem Hut zaubern müssen, das nicht funktionieren kann. Guerrero weg. Kroos weg. Schlaudraff  weg. Podolski in tiefster Melancholie. Schweinsteiger in der Stagnation. Und der schon erwähnte Janssen blüht unter Jol in der Rückrunde auf, wird jeden Tag ein bißchen besser. So wie Aogo, Pitroipa, Guerrero. Vermutlich kommt im neuen Jahr Enke. Und Rensing wird der Kompagnon von Lell. Nachwuchsarbeit 2010.

Die Bayern haben es geschafft, in den letzten Jahren zwei der drei besten deutschen Trainer (Schaaf wäre ebenso wenig kompatibel wie Frings) zu vergraulen. Hitzfeld ist gegangen, weil ihm Kim Il McRummenigge vorgerechnet hat, dass Fußball keine Mathematik ist. Magath ist gegangen, weil er die geballte Fußballkompetenz an der Säbener Straße nur mit geballter Faust in der Tasche ertragen konnte, und weil er ein wenig von dem vielen schönen Festgeld gerne in neue Spieler investiert hätte.

Wenn es jetzt ausgerechnet dem seriösen, geduldigen Funkel und dem Chancengleichheitsverfechter Bruchhagen und der verletzungsgeplagten Eintracht gelänge, den Bayern auch noch den Zahn in der Meisterschaft zu ziehen, könnte man von einer perfekten Woche sprechen. Aber in der Allianz-Arena sind die Bayern ja eine nicht nur von den eigenen Fans gefürchtete Heimmannschaft.